Die Abwehr im Stellungskriege 609
10. Hinter den Stellungsdivisionen sind die Eingreifdioisionen bereit-
zustellen. Sie sind bestimmt, den Stoß des Feindes aufzufangen, falls er die
Stellungsdivision durchbrechen sollte, und ihn durch sofortigen Gegenstoß aus der
eigenen Stellung wieder hinauszuwerfen.
Eine Eingreifdivision wird meist gleichzeitig für mehrere Diodisionsabschnitte
bestimmt werden müssen; sie ist ganz oder mit Teilen so nahe, d. h. bis in den Bereich
des feindlichen Fernfeuers, heranzuziehen, daß sie im Bedarfsfalle sofort in den
Kampf eingreifen kann.
Anderseits darf das scharfe Heranhalten nicht zu vor-
zeitigem Verbrauch der Eingreifdivisionen führen. Es ist die
Kunst der Führung, hier ein richtiges Maß zu halten.
Die Eingreifdivisionen unterstehen vor dem Kampf dem Generalkommando oder
dem A. O. K. Werden sie geschlossen oder, wie es meistens der Fall sein wird, in
kleinen Verbänden eingesetzt, so sind sie dem Kommandeur des Kampfabschnittes
zu unterstellen (vgl. Ziff. 41). Die Tätigkeit des Kommandeurs der Eingreifdivision
liegt hauptsächlich in der Ausbildung und rechtzeitigen Bereitstellung. Nur in den
Fällen, in denen die Division einheitlich zum Gegenstoß vorgeführt wird, oder wenn
andere persönliche Gründe vorliegen, wird ihm seine Division auch im Kampf unter-
stellt bleiben. Auch in diesem Fall wird aber der Kommandeur der Stellungsdivision
meist ohne Rücksicht auf Altersverhältnisse die Leitung des Gefechts in seinem Abschnitt
behalten, also den einheitlichen Befehl über Stellungsdivision und Eingreifdivision zu
führen haben.
Einschieben und Ablösen. 11. Das Einschieben neuer A. O. Ks.,
Genkdos. und Divisionen muß von langer Hand vorbereitet sein, sonst führt
es leicht zu vorübergehender Schwächung und schnellem Verbrauch der Kräfte.
Jedes Einschieben und Verschieben der Grenzen höherer Verbände hat außerdem
umfangreiche Schreibarbeit zur Folge.
Das taktische Einleben geht verhältnismäßig schnell vor sich, wenn aus-
reichende Vorbereitungen gemäß Ziffer 2 und 7 getroffen sind. Dagegen bedarf das
Einspielen der Versorgung mit Kampfgerät, Baustoffen, Verpflegung usw.
längerer Zeit, bei Genkdos. und A. O. Ks. meist Wochen. In kritischen Kampfzeiten
ist Umänderung der Befehlsgliederung nicht zweckmäßig. Diese ist, wenn notwendig,
in der Vorbereitungszeit oder in Kampfpausen vorzunehmen, falls nicht Belassung
der eingelebten Verbände auf breiterem Raum vorzuziehen ist.
12. Ablösung während der Schlacht ist stets unerwünscht, da die
Geländekenntnis ein wesentlicher Vorteil des Verteidigers gegenüber dem Angreifer
ist; sie ist aber bei nervenerschütternden Eindrücken einer großen Schlacht selbst dann
nicht zu vermeiden, wenn die Verluste verhältnismäßig niedrig sind. Zu langes
Hinausschieben der Ablösung namentlich nach langem feindlichem Artilleriefeuer hat
leicht den Verlust von Truppe und Stellung zur Folge.
13. Der Einsatz neuer Führer und Truppen soll erst erfolgen, wenn sie über die
Aufgaben und die Verhältnisse ausreichend und in Ruhe unterrichtet sind. Die Kom-
mandeure, Generalstabsoffiziere, Adjutanten und die Gasoffiziere müssen möglichst schon
vor ihren Truppen in den Abschnitten eintreffen. Die Truppen, die in die vordere
Kampflinie einrücken, müssen ausgeruht und kampfkräftig sein. Dies ist bei voraus-
schauendem Handeln fast stets durchführbar. überhasteter Einsatz führt un-
nötige Verluste herbei und belastet daher die Führung.
14. Neu eingesetzte höhere Stäbe müssen sich zunächst einlernen. Sie dürfen
den Befehl erst übernehmen, wenn sie die Lage beherrschen. Bei den unterstellten
Truppen darf kein Zweifel über die Befehlsübernahme sein, sonst entsteht beim Wechsel
in den ersten Tagen leicht Unsicherheit der Führung und Störung der Versorgung
der kämpfenden Truppe.
A. O. Ks. werden in einer Schlacht nur ausnahmsweise abgelöst, während Ab-
lösung der Genkdos. bei langer Dauer der Schlacht nötig werden kann.
Urkunden der Obersten Heeresleitung 1916—1918. 39