Full text: Urkunden der Obersten Heeresleitung über ihre Tätigkeit 1916/18

Die Abwehr im Stellungskriege 617 
  
  
Auch die Besatzung der vordersten Linien ist daher nicht starr an ihren Platz 
gebunden, sondern darf stärkstem feindlichen Feuer in räumlich beschränkten Grenzen 
in die feuerarmen Räume nach vorn, seitlich oder rückwärts auf die nächsten Unter- 
stützungen zu ausweichen. Am besten ist Ausweichen nach vorn; es führt am ehesten 
aus dem feindlichen Feuer. Bei Ausweichen nach der Seite oder nach rückwärts auf 
die nächsten Unterstützungen ist die Gefahr vorhanden, daß die Verbindung in der 
Kampflinie verloren geht und der Feind sich in ihr unbemerkt einnistet. 
Bricht die feindliche Infanterie gegen unsere Linien zum 
Angriff vor, so muß sich der Infanterist bewußt sein, daß die 
sichersten Mittel zur Abwehr sein eigenes Feuer, die Hand- 
granate und die blanke Waffe sind und daß schon wenige Ma- 
schinengewehre den feindlichen Ansturm brechen. Die artille- 
ristische Sturmabwehr ist eine wesentliche Hilfe; sie genügt 
aber für sich allein nicht zur Abwehr starker feindlicher An- 
griffe. 
Das Feuer aller Gewehre und Maschinengewehre, die aus der Kampflinie und 
den rückwärtigen Verteidigungsanlagen gegen den heranstürmenden Feind wirken 
können, hat sich gegen ihn zu richten. Gegen ihn wendet sich auch das Feuer der 
Artillerie, der Minen= und Granatwerfer. Das Feuer der hinteren Anklammerungs- 
punkte muß durch die Lücken zwischen den weiter vorn befindlichen hindurchschlagen. 
Auch indirektes Maschinengewehrfeuer kann nutzbringend sein. 
Gelingt es trotzdem der feindlichen Infanterie, in die Kampfzone einzudringen, 
so hat das Sperrfeuer der Artillerie die feindliche Infanterie von ihren nachrückenden 
Angriffswellen und Reserven sofort abzuriegeln, während gegen die eingedrungene 
feindliche Infanterie flankierendes und frontales Gewehr= und Maschinengewehrfeuer 
gerichtet wird. Im besonderen haben Minen- und Granatwerfer den sich festsetzenden 
Feind unter Feuer zu nehmen. Auch die Artillerie muß sich wirksam beteiligen (ogl. 
Ziff. 54 und 56). 
Die dadurch hervorgerufene schwierige Lage des eingedrungenen Gegners haben 
ohne weiteren Befehl die seitwärts oder rückwärts ausgewichenen Teile der 
Grabenbesatzungen und die an der Einbruchstelle bereitliegenden Unterstützungen, denen 
ihre Aufgabe in Fleisch und Blut übergegangen sein muß, auszunutzen und zum 
sofortigen Gegenstoß und zur Wiedereroberung des Verlorenen bis zur vordersten 
Linie, unter Umständen unter dem feindlichen Artilleriefeuer hinweg, hervorzubrechen. 
Im Kampfe Mann gegen Mann ist der Feind mit Handgranaten und blanker Waffe 
zu vernichten. 
Der offensiven Verteidigung, dem sofortigen Gegenstoß, 
kommt damit entscheidende Bedeutung zu. Er trifft den erfolgreichen 
Angreifer in oder unmittelbar nach seinem Erfolge, also oft in einem Zustande der 
Schwäche möglichst überraschend und flankierend. Er ist das wirksamste und mit dem 
geringsten Aufwand an Menschenleben und Munition durchführbare Mittel, die Lage 
schnell und entscheidend herzustellen. Jeder Mann, der in der vorderen Kampfzone 
kämpft, muß sich bewußt sein, daß er durch Ausharren, auch wenn er von allen 
Seiten umfaßt ist, den sicher kommenden Gegenstoß erleichtert und an seiner eigenen 
Befreiung mitwirkt. Im vollen Vertrauen hierauf wird er, so lange er noch die 
Waffen führen kann, weiterkämpfen. Wesentlich für den Erfolg dieser Kampfweise ist 
es, daß der Einfluß der Führung auch bei den auflösendsten Einzelkämpfen sich immer 
wieder durchsetzt. 
Nach gelungenem Gegenstoß ist sofort wieder der alte Besetzungszustand, also 
dünne Besetzung und tiefe Gliederung, wiederherzustellen, damit dem zu erwartenden 
verstärkten feindlichen Feuer keine günstigen Ziele geboten werden. 
Sicherheitsbesatzungen beteiligen sich am Gegenstoß nicht. 
Hierüber muß unbedingt Klarheit bestehen.
	        
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