618 XXIV. Militärische Schriften
41. Kann die Besatzung der vordersten Kampfzone den Gegner hinauswerfen oder
aufhalten, so ist der sofortige Gegenstoß zurückgehaltener Re-
serven auf Befehl anzusetzen, so lange der Gegner in dem fremden Graben-
system die Verteidigung noch nicht organisiert hat und so lange er noch im Kampfe
mit den Grabenbesatzungen und örtlichen Reserven um Anklammerungspunkte
usw. steht.
Der Vorstoß erfolgt durch Aufrollen von der Seite her oder in lichten Wellen
oder durch beides gemeinsam.
Flankierung erhöht stets die Aussichten auf Erfolg. Feuerschutz durch rückwärtige
und staffelweise vorgehende Maschinengewehre, durch Granat= und Minenwerfer, durch
offen auffahrende und direkt feuernde Geschütze sowie durch rückwärts stehende Ar-
tillerie ist notwendig.
Sicherheitsbesatzungen beteiligen sich auch an diesen Vorstößen nicht.
Verfügt die Kampfdivision über ausreichende Kräfte, so stellt sie für diese Gegen-
stöße taktische Reserven mit bespannter Artillerie unter einheitlichem Befehl bereit.
Fehlt es an solchen Reserven, so müssen in kritischen Gefechtsmomenten die Dioisionen
zweiter Linie nahe herangehalten werden.
Solche Gegenstöße sind so vorzubereiten (Erkundung und praktische Ubung im
Geländel), daß sie sofort einsetzen können, wenn der Gegner eingebrochen ist. Die
rechtzeitige Freigabe und genügend nahes Heranhalten der Reserven ist ausschlag-
gebend für ihren Erfolg. Auf den Befehl höherer Stellen darf daher nicht immer
gewartet werden. Verspätet angesetzte Gegenstöße unterscheiden
sich in nichts von übereilten Gegenangriffen. Sie sind zwecklos
und zu verbieten.
Anderseits ist zu bedenken, daß viele Hilferufe aus vorderster Linie erfahrungs-
gemäß unberechtigt oder verfrüht sind. Verfrühtes Alarmieren und Heranziehen von
Reserven erschöpfen deren Kampfkraft nutzlos, verursachen vermeidbare Verluste und
verführen die unteren Führer zu übermäßiger Verdichtung des vorderen Kampffeldes.
Um die Verluste der Reserven bei Bewegungen im schweren feindlichen Feuer
zu verringern, sind Wege festzulegen, die weniger unter feindlichem Feuer liegen;
Feuerpausen sind auszunutzen. Reserven, die im Kampf zu nahe herangekommen
sind und vorn nicht mehr gebraucht werden, sind rechtzeitig wieder zurückzuziehen,
damit keine fehlerhafte Verdichtung der Kampfzone an einzelnen Stellen eintritt. Ord-
nung der Verbände ist sehr wichtig.
42. Gelingt es nicht, den eingedrungenen Feind sofort hinauszuwerfen oder zu
vernichten, so führt nur ein planmäßig angelegter Gegenangriff zur
Wiedereroberung. Bedingungen hierfür sind: genaue Aufklärung der Stellungen der
feindlichen Infanterie, Artillerie, Maschinengewehre und Minenwerfer, Zeitlassen
für die Vorbereitungen (mehrere Tage), Vorüben an besonderen
Übungswerken, Zusammenwirken der eigenen Infanterie mit Artillerie, Minenwerfern
und Fliegern, Verwendung der besonders ausgebildeten Stoßtrupps mit Hilfswaffen
(Flammenwerfer, Infanteriegeschütze).
Nicht immer ist indes die Wiedereroberung verloren gegangener Stellungsteile
geboten (s. Ziff. 6).
Verzichtet die Führung auf Zurückeroberung, so muß durch Befehl die neue
Stellung in ihrem Verlauf festgestellt und eingerichtet werden. Zerschossene, ungünstig
geformte oder vom Feinde flankierte Grabenstücke oder Trichterfelder, die ohne Be-
deutung für die Gesamtlage sind, zu halten, ist falsch. Halbe Maßnahmen sind hier
besonders schädlich. Ein ganzer Entschluß muß gefaßt werden. Klare
Anordnungen sind in keinem Fall nötiger als hier.
43. Bei Gegenstoß und Gegenangriff muß den für sie be-
stimmten Verbänden stets Zeit und Gelegenheit zur eingehen-
den Unterrichtung über Gelände und Kampfverhältnisse und
zur Vorbereitung des Angriffs gegeben werden. Beim Gegen-