628 XXIV. Militärische Schriften
Die Vorbereitung auf mehrere Fälle darf nie zur Starrheit
und zur Unbehilflichkeit beim Eintreten einer nicht vorge-
sehenen Lage führen. Dies würde aber die Folge zu vieler schriftlicher und
statistischer Vorarbeiten sein. Die Vorbereitung auf die wichtigsten Fälle wird vielmehr,
wenn sie richtig durchgeführt wird, die Artillerie befähigen, sich allen möglichen Fällen
anzupassen. Hierzu ist auch dem unteren Führer eine gewisse Freiheit und selbständige
Verantwortung zu belassen.
60. Frühzeitige Kampferöffnung (ogl. Ziff. 5) soll den Angreifer
verhindern, hochzukommen, indem er während der Zeit der Vorbereitungen (Vor-
bringen und Einbau der Truppen, Geschütze, Minenwerfer, Munition, Nahkampf=
mittel), also in einer Zeit, in der der Angriff schwach ist und gute Ziele bietet, so viel
wie möglich geschädigt wird. Scharfe Aufmerksamkeit, um lohnende Gelegenheitsziele
schnell und wirksam zu fassen, ist nötig. Manchmal wird aber auch Zurückhaltung
am Platz sein, um eigene Stärke und Stellungen nicht zu verraten oder um den Gegner
sicher zu machen und ihn im taktisch günstigsten Augenblick mit einem zusammen-
gefaßten Schlage zu treffen.
61. Von besonderer Bedeutung ist die richtige Verwertung von Ge-
schützen und Munition. Jede Geschützart ist für diejenige Aufgabe anzusetzen,
für die sie ihrer Eigenart nach am besten geeignet ist. Bei jedem Einsatz von Munition
ist sorgfältige ÜUberlegung über den wirklichen Bedarf erforderlich. Was an einer
Stelle zu viel eingesetzt wurde, wird an anderer fehlen. Die Verwendung unzu-
reichender artilleristischer Mittel für die Lösung bestimmter Kampfaufgaben ist ebenso
fehlerhaft wie das Arbeiten mit zu großem Kraftüberschuß.
62. Gute Ausnutzung der Artilleriewirkung erfordert gute Beobachtung
gegen das Ziel selbst oder vorheriges Erschießen der Grundlagen. Es genügt aber
nicht, das Einschießen zu beobachten; auch während des Wirkungsschießens müssen durch
Erd= oder Luftbeobachtung, Anmessen, Hilfsziele, Benutzung der Tafeln über Tages-
einflüsse usw. Unterlagen für die Lage der Schüsse und für die Wirkung gegen das
Ziel gesucht werden. Jedes Mittel, das zur Erreichung dieses Zieles möglich erscheint,
ist mit aller Energie anzuwenden. Dem Wetterdienst ist große Sorgfalt zuzuwenden.
Streuschießen, auch in engen Grenzen, muß stets Notbehelf bleiben, auch in den
Zeiten der stärksten Artillerietätigkeit.
63. Eine schematische Berechnung des Kräftebedarfs der Artillerie für
die Abwehrschlacht ist nicht möglich. Ebenso wenig lassen sich bindende Regeln geben,
in welchem Verhältnis die einzelnen Geschützarten für die verschiedenen Kampfaufgaben
einzusetzen sind. Der Bedarf ist vom Kräfteeinsatz des Gegners, von den voraus-
sichtlichen Kampfaufgaben sowie von der Möglichkeit einer zweckmäßigen Organisation
der artilleristischen Verteidigung abhängig. Die rein zahlenmäßige Vermehrung der
Batterien ist nicht ausschlaggebend für die tatsächliche Erhöhung der Kampfkraft (vol.
Ziff. 6a).
Gliederung und Befehlsverhältnisse. 64. Die den Armeen als Verstärkung für
die Abwehrschlacht überwiesene Artillerie ist grundsätzlich auf die Dioi-
sionen entsprechend der Bedeutung der einzelnen Diovisions-
abschnitte zu verteilen, soweit sie nicht zur Ermöglichung zweckmäßiger Re-
serve der höheren Führung und zur Verfügung des A. O. K. oder der Gruppe verbleibt.
Geschlossene Verbände (z. B. Eingreifdivisionen) behalten grundsätzlich ihre
gesamte leichte Artillerie. Es kann zweckmäßig sein, sie durch Zuteilung schwerer
Artillerie zu verstärken (vgl. Ziff. 67). Eine Unterstellung der zum Kampf eingesetzten
Artillerie unmittelbar unter die Armeen und die Gruppen kann nur für weittragende
schwerste Batterien in Frage kommen, bei denen einheitliche Zusammenfassung unter
gemeinsamen Befehl mit besonderem Nachrichtennetz zweckmäßig ist.
Innerhalb der Division ist die gesamte Artillerie unter den Befehl des
Artilleriekommandeurs zu stellen. Für die Führung des Fernkampfes und
für die gegenseitige Unterstützung der Divisionsabschnitte haben die oberen Stellen die