Der Angriff im Stellungskriege 655
Erfolgt der Angriff aus sorgsam gebauten Dauerstellungen heraus, so wird die
Bereitstellung in Gräben, teilweise sogar in Unterständen, möglich sein. In der Regel
genügen Gräben ohne Unterstände, Trichter oder natürliche Geländedeckungen. Auch
im Trichterfelde ist wenigstens durch Verbindung der Trichter anzustreben, daß die
Unterführer die Bereitstellung nachprüfen, die Truppe überwachen und mit ihren Be-
fehlen durchdringen können. Erdarbeiten, die der Gegner als Angriffsgräben erkennt,
müssen vermieden werden. Deckung der Bereitstellung gegen Fliegersicht ist von
höchster Wichtigkeit.
Mit der Zahl der bereitzustellenden Truppen wachsen die Schwierigkeiten, die
Bereitstellung unauffällig durchzuführen und überraschend anzugreifen. Man wird
daher mit möglichst wenig Infanterie auszukommen suchen. Je kürzer die Angriffs-
wege sind, desto weniger Kräfte wird man brauchen.
Die Bereitstellung wird je nach den örtlichen Verhältnissen dicht aufgeschlossen
oder mehr nach der Tiefe gegliedert vorgenommen. Im ersteren Fall erfolgt das Aus-
einanderziehen erst nach dem Antreten. Unter besonders günstigen Umständen kann
die gesamte Bereitstellung vorwärts der feindlichen Sperrfeuerzone dicht zusammen-
gelegt werden.
55. Sehr wichtig ist die richtige Bestimmung des Zeitpunktes des An-
griffs; er hängt im wesentlichen von artilleristischen Gesichtspunkten ab.
Wenn der Gegner über nennenswerte Kampfartillerie verfügt, macht während
des eigenen Wirkungsschießens die feindliche Gegenwirkung ein Einrücken und ein
ordnungsmäßiges Bereitstellen meist unmöglich. Ebenso ist das Einrücken in die
Sturmstellung bei Tage nur in ausnahmsweise günstigem Gelände und bei völliger
Ausschaltung der feindlichen Erd= und Luftbeobachtung möglich; ob das Wetter die
feindliche Luftbeobachtung verhindern wird, ist aber meist nicht vorherzusehen.
Daraus ergibt sich, daß das Einrücken in die Sturmstellung in der Regel in der
Nacht vor dem Angriff erfolgen wird. Es wird um so glatter und sicherer vor sich
gehen, je weniger der Gegner mit einem Angriff rechnet und je schwächer die Sturm-
truppen gehalten werden können.
Braucht die eigene Artillerie also nicht zu lange Zeit für ihr Wirkungsschießen,
so ist es zweckmäßig, mit dem Wirkungsschießen erst am Morgen nach dem Einrücken
der Infanterie zu beginnen und im Laufe des Tages zu stürmen.
Erfordert das Wirkungsschießen der Artillerie ausnahmsweise mehr als einen
Tag Zeit, so bleiben die eigenen Gräben zunächst ganz schwach besetzt. Es muß dann
in der Nacht vor dem Sturm in die Sturmstellung eingerückt werden. Mehr oder
minder starkes feindliches Feuer muß in Kauf genommen werden.
Es könnte danach zweckmäßig erscheinen, an einem Tage das Wirkungsschießen
auszuführen, in der Nacht mit der Infanterie einzurücken und am frühen Morgen zu
stürmen. Die Erfahrung ergibt aber, daß der während des Tages beschossene Gegner
trotz nächtlichen Störungs= und Gasschießens während der Nacht Reserven und
namentlich frische Maschinengewehre in die Stellung vorzieht, die Stellung notdürftig
wiederherstellt und am frühen Morgen besonders aufmerksam ist. Deshalb muß in
der Regel am Sturmtage selbst dem Sturm ein nach den Tageseinflüssen neu geregeltes
und so kräftiges Wirkungsfeuer vorhergehen, daß auch frisch eingesetzte Kräfte er-
schüttert werden.
Bei kleinen Angriffen ist neben der Möglichkeit der Bereitstellung die Art der
Einrichtung in der genommenen Stellung für die Angriffszeit maßgebend. Für die
kräftige Ausnutzung eines Anfangserfolges ist es am günstigsten, wenn der erste Sturm
in den frühen Vormittagsstunden erfolgt.
Ganz allgemein gilt jedoch, daß jede zum Schema gewordene An-
griffszeit falsch ist. Mit den Zeiten muß daher gewechselt werden, um den
Gegner dauernd in Erwartung eines Angriffs zu halten. Dies ist bei nicht zu un-
günstigen Verhältnissen durchführbar, da gute Infanterie, für deren reichliche Ver-
sorgung mit Konserven und Getränken gesorgt ist, in der Sturmstellung selbst bei