Der Angriff im Stellungskriege 657
angriffsfreudige Truppe läßt sich durch Sperrfeuer nicht
längere Zeit aufhalten. Oft glückt das Durchkommen bei schnellem und ent-
schlossenem Handeln mit überraschend geringen Verlusten.
60. Beim Sturm kommt es darauf an, die Wirkung der artilleristischen Vor-
bereitung und Feuerunterstützung voll auszunutzen. Die stürmende Infan-
terie muß gleichzeitig mit den letzten Artillerieschüssen und
Minen in der feindlichen Stellung stehen und im weiteren Ver-
lauf der eigenen Feuerwalze unmittelbar folgen, so daß der Feind
keine Zeit findet, aus den noch erhaltenen Unterständen herauszukommen oder sich
sonst gefechtsbereit zu machen.
Neben der richtigen Ausnutzung der eigenen Kampfmittel und erkannter feind-
licher Schwächen ist für den Erfolg des Sturmes der Schwung der Truppe
wesentlich. Entschlossenes, rücksichtsloses Draufgehen und Selbsttätigkeit jedes einzelnen
Mannes bringen den Erfolg. Stocken des Angriffs an einer Stelle darf sich nicht auf
die ganze Linie übertragen; weit durchstoßende Infanterie umfaßt stehengebliebene
Teile des Feindes, räumt sie hinweg und bahnt den zurückbleibenden eigenen Ab-
teilungen den Weg. Zaudern führt zu Mißerfolgen.
Die Gefechtsstreifen sind am günstigsten, wenn die vordersten Wellen bis zum
Ziel geradeaus angreifen. Die Grenzen werden durch im Gelände hervortretende
Punkte und Linien gebildet, z. B. Straßen, Eisenbahnen, Waldränder.
Innerhalb des Gefechtsstreifens darf nicht gleichmäßig angegriffen werden. Stütz-
punkte, Ortschaften, Wälder sind niederzuhalten, unter Umständen durch Einnebeln.
An ihnen vorbei greift die Truppe tiefgegliedert an den Stellen des voraussichtlich
geringsten Widerstandes an. Rückwärtige Wellen nehmen die Stützpunkte usw. durch
Umfassung.
Um feindliche Widerstandsnester und Stützpunkte, die von den vorderen Wellen
überrannt sind, schnell zu Fall zu bringen, kann es sich empfehlen, von vornherein
besondere gemischte Abteilungen — im Bedarfsfall aller Waffen — unter energischen
Führern auszuscheiden.
Die vordersten Teile der Infanterie aber vermeiden jeden nicht unbedingt not-
wendigen Aufenthalt. Häufig schwächt das Durchstöbern feindlicher Unterstände, De-
pots und Gepäckstücke nach Lebensmitteln usw. die Front rascher als feindliches Feuer
und Erschöpfung. Strenge Überwachung ist daher notwendig. Drückeberger und
Beutemacher müssen durch Kommandos des eigenen Regiments aufgegriffen und
sogleich nachgeführt werden (vgl. auch Ziff. 109).
Angriffe durch Aufrollen der Gräben in den Gräben entlang zu führen, empfiehlt
sich nur in ganz kleinen Verhältnissen und bei Kleinangriffen, die mehr in das Gebiet
der Gegenstöße und Patrouillen-Unternehmungen fallen, und denen ein wirksames
Sturmreisschießen nicht vorangegangen ist.
Je kleiner der Angriff ist und je näher das Angriffsziel liegt, um so genauer
kann der angreifenden Infanterie der Weg und jede einzelne Tätigkeit vorgeschrieben
werden. Je größer und tiefer der Angriff ist, desto häufiger treten Lagen ein, in denen
das selbständige und sich richtig in den Rahmen des Ganzen einfügende Handeln ein-
zelner Stoßtrupps oder Gruppen den Ausschlag gibt. Auf diese Weise gewonnene
kleine Vorteile sind sogleich zu größeren Erfolgen auszubauen. Alle Anweisungen
und Maßnahmen müssen daher darauf zielen, die Einwirkung der Führer sicherzu-
stellen. Jeder einzelne Mann muß erzogen sein, den Zusammenhang mit seinem
Stoßtrupp-Gruppenführer dauernd zu wahren. Kein Führer darf auch nur einen
Augenblick die Zusammenarbeit mit dem nächst höheren und benachbarten Verband,
sowie mit den anderen Waffen aus dem Auge lassen. Die Verwendung von Leucht-
zeichen zur Verständigung (auch Flammenwerfer) ist sorgfältig zu regeln.
Bei den in dem feindlichen Stellungssystem sich zusammenballenden gesonderten
Kampfgruppen oder Stoßtrupps muß das Streben sein, sobald es die Lage gestattet.
lockere zusammenhängende Schützenlinien im Sinne der A. V. F. 1918 zu bilden.
Urkunden der Obersten Heeresleltung 1916—1918. 42