Der Angriff im Stellungskriege 661
VI. Luftstreitkräfte. 81. Die nachstehenden Bestimmungen gelten für größere
Angriffe, bei denen zahlreiche Luftstreitkräfte aller Art unentbehrlich sind; sinn-
gemäß finden sie auch bei kleineren Angriffen Verwendung.
82. Das Auftreten starker Luftstreitkräfte (Flieger, Ballone und Flaks) ist für
den Gegner eines der sichersten Zeichen bevorstehender Angriffe. Während der
Vorbereitungen muß die Tätigkeit der Luftstreitkräfte daher
zurückhaltend sein.
Den Fliegereinsatz trotz der Forderung der Geheimhaltung auf dem Angriffsfeld
sicherzustellen, ist sehr schwierig, da die Heranziehung der Verstärkungen erst spät
erfolgen darf. Durch wechselnden Austausch von Fliegerverbänden, Kommandierung
zu den auf dem Angriffsfeld bereits vorhandenen Fliegerabteilungen und Schutzstaffeln,
Einrichtung von Lehrparks hinter der Front muß erstrebt werden, auch ohne früh-
zeitige Verlegung die für den Angriff nötige Geländekenntnis zu gewinnen. Die Flüge
selbst sind so ein zuteilen, daß einerseits der Feind nur schwer auf Vermehrung schließen
kann und anderseits den Fliegern doch genügend Gelegenheit zur Orientierung ge-
geben wird.
Unter allen Umständen muß die lückenlose Lichtbilderkundung sicher-
gestellt werden. Sie ist von ausschlaggebender Bedeutung. Demnächst ist das Ein-
leben der Artillerie-, Infanterie= und Schlachtenflieger auf dem Angriffsfeld wichtig.
Die Masse der Jagd= und Schutzstaffeln kann am spätesten herangezogen werden.
Die Verteilung der Fliegerabteilungen und der als Schlachtenflieger bestimmten
Abteilungen und Staffeln auf die Angriffsdivisionen hat so rechtzeitig zu erfolgen,
daß sie hinter der Front — möglichst weit zurück — an den Angriffsübungen ihrer
Divisionen teilnehmen können. Ein gegenseitiges Einspielen ist unerläßlich.
Ahnlich liegen die Verhältnisse für Heranziehung, Unterbringung
und Aufsteigen der Ballone und für die Flaks.
83. Von Wichtigkeit sind in ruhigen Zeiten vorbereitete Flughäfen
mit ständigen Hallen und Baracken, weil das Aufschlagen neuer Zelte usw. kurz vor
dem Angriff den Fliegeraufmarsch verrät. In neu belegten Häfen dürfen Flugzeuge
und Kraftwagen nicht außerhalb der Hallen stehen bleiben. Genügt der Raum in den
Hallen nicht für alle Flugzeuge, so kann ein Abrüsten eines Teils der Flugzeuge in
Frage kommen. Abteilungen, die in Zelten untergebracht werden, dürfen zunächst nur
einen Teil der Zelte aufschlagen und müssen diese nach Möglichkeit der Sicht entziehen.
84. Die Verschleierung der Vorbereitungen darf auf keinen Fall durch eine starke
Sperre angestrebt werden, da selbst die stärkste Sperre vom Gegner durchbrochen
werden kann. Schwache, aber aufmerksame und rücksichtslos angreifende Ketten von
Jagdflugzeugen müssen in großen Höhen, nötigenfalls auch in zwei Höhenlagen, ein-
gesetzt werden. Sie haben sich im Hintergrund und auf den Flügeln des zu schützenden
Abschnitts zu halten. Durch Richtungsschüsse der Flak und große Richtungsweiser am
Boden wird ihnen die Anwesenheit feindlicher Flugzeuge gemeldet.
85. Für die neuen Fliegerverbände und für die Angriffstruppen sind Lagen-
bilder nach neuesten Aufnahmen in großer Zahl vorzubereiten.
Ferner sind Karten herzustellen mit Einzeichnung der Abwursstellen, Ver-
teilung der Feuerräume, Einzeichnung der Räume, gegen die ungünstige oder gar
keine Erdbeobachtung vorhanden ist, sowie Abwurfskizzen für die Meldungen der In-
fanterieflieger.
86. Die Verteilung der Wellen und Anrufe für Flieger und
Funker bedarf einer sehr vorsichtigen Handhabung, da der Gegner durch neue An-
rufe sofort auf die Vermehrung der Kräfte aufmerksam werden muß. Wenn nen
einzusetzende Anrufe nicht vermieden werden können, sind sie auf solche Stationen zu
verteilen, die seltener gebraucht oder vom Gegner schlechter gehört werden können.
87. Auch während des Einschießens der Artillerie und nach
Beginn des Wirkungsschießens empfiehlt sich noch Zurückhaltung der Luftstreitkräfte,
damit der Gegner über die Bedeutung des Angriffs im unklaren bleibt.