110
65. Wie der große Kurfürst flüchtig ward.
Der große Kurfürst war ein Held,
Kaum hatt' er seines Gleichen,
Doch einmal sah man aus dem Feld
Ihn wie ein Flüchtling weichen.
Das dünket euch wohl wunderbar?
Doch thu' ich's nicht erdichten,
Und alsobalde wird euch klar,
Wie tapfer solches Flüchten.
Der große Kurfürst ist im Haag
Als Kurprinz noch gewesen
Und hat dort manchen lieben Tag
Studiret und gelesen.
Der Haag war aber dazumal
Im reichen Niederlande
Die schönste Stadt, d’rin ohne Zahl
Florirten Herrn vom Stande.
Die machten manchen Thaler klein
Bei Spiel und bei Gelage
Und Anderm, dessen Ruhm nicht fein,
Nach der gemeinen Sage.
Das Laster ging gar lockend um.
Da ward dem Kurprinz bange,
Er dacht' an seines Hauses Ruhm
Und an die alte Schlange.
Da floh der große Fürst und Held
Vor der Verlockung Glanze
In des Oraniers Kriegerszelt
Bei Breda, an der Schanze.
Dort hat er den Belag'rungskrieg
Mit allem Fleiß studiret
Und wie man klug von Sieg zu Sieg
Die Kriegesvölker führet.
Doch als Oranien, der Held,
Darnach genau berichtet,
Wie vor der Sünd' und Lust der Welt
Sein Vetter jung geflüchtet,
Da sprach er: „Solche Flucht ist Sieg,
Und mächtig große Thaten
Dereinst im Frieden und im Krieg
Entkeimen solchen Saaten!“
Als ein Prophet der Prinz das sprach,
Die Andern thaten nicken,
Denn Alles wurde wahr darnach,
Und zwar in allen Stücken.
Vor Sündenschuld alleine floh
Der große Kurfürst immer,
Und machten's And're ebenso,
Ständs um die Welt nicht schlimmer.
G. Hesekiel.