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Volke. Mancher hätte sein Leben gewagt, um ihn zu befreien. Schon
hatte er heimlich eine Strickleiter und das Kleid einer Bäuerin erhal-
ten und war in dieser Vermummung während der Nacht bereits aus
dem Gefängnisse gestiegen, als ihn die Schildwache unter seinem Fenster
anief. Da mußte er wieder umkehren und sich in sein Schicksal er-
geben. Am folgenden Tage wurde er nach Mittelwalde abgeführt.
Von Wesel aus schrieb der König an seine Gemahlin: „Ich
habe den Schurken, den Fritz, festnehmen lassen und werde ihn be-
handeln, wie es sein Verbrechen und seine Feigheit verdienen. Ich
erkenne ihn nicht mehr als meinen Sohn an; er hat mich und mein
ganzes Haus entehrt. Ein solcher Elender verdient nicht mehr zu
leben.“ Und als er nach Berlin kam, schrie er der Königin schon von
Weitem zu: „Euer ungerathener Sohn ist nicht mehr; er ist todt!“
Zugleich verlangte er nach den Briefschaften des Prinzen, die in ihren
Händen waren. Darauf wandte sich sein Zorn gegen die Prinzessin
Wilhelmine, weil er glaubte, sie habe um die Flucht gewußt. „Wie,
Du wagst es, mir unter die Augen zu treten?“ rief er ihr zu. Die
Königin zerfloß in Thränen und lief voll Verzweiflung im Zimmer
umher. Die kleinen Kinder schrieen und suchten den Vater zu begüti-
gen. Endlich wurde dieser sanfter gestimmt und sagte: „Der Fritz
lebt noch, aber er soll als Hochverräther sterben, und die Prinzessin
als Mitschuldige soll ins Gefängniß kommen.“ Außer der Frau von
Kameke, der Oberhofmeisterin der Königin, wagte Niemand dem Könige
entgegen zu treten. Diese folgte ihm aber mit heldenmüthiger Uner-
schrockenheit in sein Zimmer und beschwor ihn, seine Gemahlin zu
schonen und das Unternehmen des Prinzen nur als eine Unbesonnen-
heit zu betrachten. „Bis jetzt,, sagte sie zu ihm, „War Ihr Stolz,
ein gerechter und frommer König zu sein, und dafür segnete Sie Gott,
und nun wollen Sie ein Tyrann werden? Opfern Sie den Kron-
prinzen Ihrer Wuth, aber seien Sie dann auch der göttlichen Rache
gewiß. Denken Sie an Philipp II. und an Peter I., die das Blut
ihrer Söhne vergossen haben; sie starben ohne Nachkommen, und ihr
Andenken ist den Menschen ein Gräuel! Gehen Sie in sich, Maje-
stät! Ueberwinden Sie Ihren Zorn!“ Der König sah die freimüthige
Frau erstaunt an und erwiederte ihr mit wiederkehrender Milde: „Sie
führen eine kühne Sprache, aber Ihre Absicht ist gut, darum verzeihe
ich Ihnen. Beruhigen Sie meine Frau.“