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Sie sieht zum letztenmal die Abendsonne.
Sie geht, die Blume hell und groß,
Durch Blumenpforten in das Schloß
Und weilet noch mit letzter Strahlenwonne;
Die Blumen sehen ihr so sehnlich nach.
Stille löschet aus die Feste,
Löset alle Freudenkränze,
Stumme Blicke sie bewachen,
Hoffnung geben ihr die Freunde,
Doch die Meister in der Heilkunst zaßen,
Und die Thränen heimlich fließen,
Und Gebete zu dem Himmel dringen! —
Boten eilen zu dem fernen König,
Doch der Ahnung bleicher Geist,
Der in alten Schlössern hauset,
Zeigt sich früher und verkündet,
Daß sie uns verloren sei.
Den letzten Lebensblick gewährt das Schicksal noch dein Gatten;
Er kommt zum Schloß noch vor der Schreckensstunde,
Und eine Klarheit herrscht in ihrer Seele,
Wie in dem Aufgang eines neuen Morzenroths,
Durch das die Sterne schimmern,
Und ihre Stimme grüßt ihn hell mit letzter Liebe,
Ihr Hauch ist letzter Segen ihrem Sohne,
Der einst den hohen Thron besteigt.
Dann ruft ihr Schmerz zu dem Erlöser aus:
Erlöse, Jesus, mich vom Leiden,
Dir übergeb' ich meinen Geist!
Sie ruhet still, die Farbe kehrt zurück
In ihres Lebens höherer Genesung,
Und Viele zweifeln, ob sie sci geschieden,
Doch ach, ihr Herz ist still.
Und ihre Kinder legen sich die kalten Hände
Noch segnend auf die Stirnen,
Und streuen Rosen auf ihr Bette;
Ihr Anblick scheuchet noch der Schmerzen Bitterkeit hinweg
Doch als die Nacht ist eingebrochen,
Da dringt der Schrecken in die Seele,
Es geht des Schmerzes Abgrund auf,