98 Überden heutigen Stand der Militär-Rechtswissenschaft u. -Gesetzgebung.
sind. Die rechtsphilosophische Behandlung des Militärrechts hat daher
von dem demselben zugrunde liegenden Principe (der Gerechtigkeit in
Bezug auf die Verletzung militärischer Pflichten) ausgehend zu unter-
suchen, welche Handlungen gegen die militärische Ordnung strafbar
sind, und in welchem Umfange die Bestrafung derselben einzu-
treten hat. Das Princip der Gerechtigkeit wird also auch für die Größe
der Strafe maßgebend zu sein haben. Das Strafgesetz wird daher bei
Bestimmung der Strafe, der Richter bei Bemessung derselben
innerhalb des gesetzlichen Rahmens, unter Bedachtnahme auf die die
That begleitenden Erschwerungs- und Milderungs-Umstände, darauf zu
achten haben, dass die Strafe mit der Größe der Pflicht-Verletzung in
einem gerechten Zusammenhang steht. Es wäre daher nicht zu billigen,
wenn ein Militär-Strafgesetz auf eine außerdienstliche Subordinations-
Verletzung im Frieden die Todesstrafe setzen würde, weil die durch
eine solche T'hat verursachte Rechts-Verletzung wıter keiner Bedingung
init dem Leben eines Menschen in einem gleichen Verhältnis steht.
Auch die Todesstrafe auf das Verbrechen der Desertion in Friedens-
zeiten dürfte zu strenge erscheinen. Ebenso muss sich gegen die in
manchen Militär-Strafgesetzen vorkommende Strafe der Decimation de
lege ferenda ausgesprochen werden, denn schon Tacitus sagt von dieser
Strafe: „Habet alıquid ex iniquo omne magnum exemplum, quod contra
singulos utilitate publieca repentitur.* In Kriegszeiten treten an den Sol-
daten größere Anforderungen heran als in Friedenszeiten, da das Heer
erst im Kriege seine eigentliche Aufgabe zu erfüllen hat. Es erscheint
daher gerechtfertigt, dass die Militär-Strafgesetze für die Kriegszeit
strengere Strafen normieren, denn je größer die Pflicht-Verletzung desto
größer die Strafe. In Kriegszeiten wird die Todesstrafe nie ganz ent-
fallen können, wenn dieselbe auch dereinst bei fortschreitender Civili-
sation in den Civil-Stralgesetzen aufgehoben werden sollte.
Die durch die Gerechtigkeit geforderte Strafe ist jedoch keine
absolut. bestimmte, sondern liegt zwischen einem Minimum und einem
Maximum. Treflend vergleicht Berner die ethischen Begriffe mit den
an ein bestimmtes Maß gebundenen physischen Existenzen. Vom
nöchsten Grade der Kälte bis Null Grad beibt das Eis Eis, und ver-
wandelt sich erst dann in Wasser. Von Null Grad bis 80 Grad Wärme
bleibt Wasser Wasser und verwandelt sich erst dann in Dampf. In der-
selben Weise verhält sieh der Begriff der vergeltenden Gerechtigkeit
zu dem von ihr geforderten Quantum sinnlichen Leidens. Innerhalb
der Grenzen der Gerechtigkeit wird daher auch die Militär-Rechtspflege
den Strafzwecken Rechnung zu tragen haben. Insbesonders wird das
Moment der Abschreckung anderer in einem Militär-Strafgesetze niemals
ganz eutbehrlich sein. In Fällen, da die Umstände, unter welchen ein