102 Über den heutigen Stand der Militär-Rechtswissenschaft u. -Gesetzgebung.
wesen und die Finanzverwaltung stehlen in Wechselbeziehung.
Die ganze Steuerpolitik des Staates wird durch das Heerwesen bestimmt.
Ebenso verhält es sich mit der Volkswirtschaft. Es ist un-
richtig, wie uft geschieht, das Heer nur als ein consumierendes Element
zu bezeichnen. Das Heer ist ein productives und consumierendes
Element. Das Heer ist der mächtige Schutz der öffentlichen Ordnung
und ermöglicht daher einen sicheren Güterverkehr. Es wirkt productiv,
dass der einzelne Bürger weid, dass er ein starkes Heer hinter sich
hat, dass er sicher seine Ersparnisse, die Früchte seines Fleißes, ge-
nießen kann; es wirkt productiv, dass die ganze watflenlähige Bevölkerung
des Staates die Schule des militärischen Dienstes durchmacht. Die
Achtung vor dem Gesetze und der Antorität, die Ordnungsliebe und
die Gewandtheit des Körpers, welche der Wehrmann im Heere lernt,
sind auch von Einfluss für dessen bürgerlichen Beruf. Was die con-
sumierende Seite des Ileerwesens betriflt, ist dasselbe mit seinen aus-
gedehnten und mannigfachen Bedürfnissen für die Entwicklung und
Gestaltung der Privat-Industrie von größtem Einflusse. Die Anlage
von Communications-Anstalten wird zum großen Theile durch das Heer-
wesen bestimmt.
Aus dem Gesagten ergibt sich, das die Lehre vom Heerwesen
einen Theil der Staatswissenschaften bildet und daher an den Uhi-
versitäten als Lehrgegenstand einzuführen ist.
Werden für das Militärrecht Lehrkanzeln an den Universitäten
errichtet, so wird dies zur Förderung der Wissenschaft des Militärrechts
und mittelbar auch zur Förderung der Militär-Gesetzgebung wesentlich
beitragen, denn die Wissenschaft hat die Aufgabe, der Gesetzgebung
den Weg zu ebnen.
Die Vorlesungen über Militärrecht an den Universitäten hätten
das ganze Gebiet desselben (das öffentliche, bürgerliche und Strafrecht
des Heeres) zu umfassen, wobei sich allerdings auf die Grundsätze und
den Geist der Gesetze zu beschränken wäre, und alles Detail entfallen
könnte. Das Militärrecht soll gleich dem Privat-, Strafrecht, dem
canonischen Recht ein obligater Lehrgegenstand werden. Zu Lehrern
werden zunächst Militär-Juristen zu ernennen sein, weil gegenwärtig
nur diese eine genaue Kenntnis des Militärrechtes besitzen.
Im folgenden haben wir von dem gegenwärtigen Stand der
Militär-Strafgesetzgebung jedoch dem Zwecke der uns hier gestellten
Aufgabe entsprechend nur in allgemeinen Zügen zu sprechen. Das
Militär-Strafgesetz für die österreichisch-ungarische Monarchie wurde
im Jalıre 1855, das Militär-Strafgesetz Frankreichs im Jahre 1857,
jenes Italiens im Jahre 1869 und jenes für das Deutsche Reich im
Jahre 1872 erlassen. Die wichtigsten Bestimmungen der Militär-Straf-