110 Der Zeitgeist. und das Militär-Strafrecht.
dasselbe seines ständigen Charakters entkleidete. Der Zeitgeist ist
es ferner, welcher das barbarisch harte Strafsystem der Militär-
Strafgesetze früherer Jahrliunderte in ein milderes, der heutigen
Rechtsanschauung entsprechenderes Strafsystem umänderte, und ander-
seits neue Strafnormen zum Schutze der durch das Völkerrecht
anerkannten rechten Weise der Kriegführung schuf. Die angedeuteten
Umgestaltungen des Militärrechts werden wir im folgenden näher be-
sprechen.
/) Das Recht des Mittelalters hatte bekanntlich einen stän-
digen Charakter, Jeder Stand (der Stand der Ritter, der Bauern, der
Geistlichen) hatte sein eigenes Rechtsleben. Der Grundsatz, dass jeder
nur von seinen Standesgenossen in Civil- und Strafsachen verurtheilt
werden solle, war tief in das Rechtsbewusstsein eingewurzelt. Das
Heeresrecht behielt «diesen ständigen Charakter seit, der Bildung stehen-
der Heere bis zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht bei. Der
Eintritt in das Heer schloss die Geltung jedes andern Rechtes, als des
Rechtes des Heeres, und die Einmischung jeder andern Obrigkeit, als
der militärischen, aus. Für den Soldaten galt nur das Recht, welches ihm
durch den Befehl der Militär-Obrigkeit zu beobachten vorgeschrieben
wurde. Der Soldat unterstand in jeder Bezielung den militärischen
Vorgesetzten und den militärischen Gesetzen. Es bestand nach allen
Richtungen hin eine Sonderung zwischen Civil und Militär nach dem
(rundsatze: „Es gibt nur zwei Dinge überhaupt. was zur Armee gehört
und nicht.“
Mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht wurde aus dem
ständigen Heere ein Volksheer, und verlor das Heeresrecht bald seinen
ständigen Charakter. Das Militär-Strafrecht ist heutzutage ein Sonder-
recht, nicht ein ständiges Recht, d.h. es bestehen für das
Militär besondere Gesetze, nicht weil es einen eigenen Stand bildet,
sondern weil der Militärdieust Pflichten auferlegt, deren Verletzung
besondere Strafnormen erheischt. Die activ dienenden Militärpersonen
unterliegen den militärischen Strafgesetzen und Diseiplmar-Vorschriften,
hingegen unterstehen sie in bürgerlichen Rechtsangelegenheiten, welche
mit dem militärischen Dienst keinen Zusammenhang haben, den bürger-
lichen Gesetzen und der bürgerlichen Obrigkeit.
Die Militärgerichte bestehen gegenwärtig als Sondergericht.
aus Gründen des öffentlichen Rechts in Anbetracht des Wesens des
Heeres, nicht aber als privilegierte Gerichte, wie dies ehemals der Fall
war. Da der Grund der Militär-Gerichtsbarkeit das Jus publicum ist, so
kann nicht, wie bei den privilegierten Standesgerichten, auf den Militär-
Gerichtsstand verzichtet werden, es kann nicht eine Militärperson, die
den Militär-Strafgerichten untersteht, sich der Militär-Gerichtsbarkeit