Der Zeitgeist und das Militär:Strafrecht. 113
schuldigten in Ermanglung eines vollen Beweises zum Geständnis zu
bringen, bestand im Civil- und Militär-Strafverfahren. Als bei den Kriegs-
gerichten die Folterungsgrade (Daumstock, Binden und Schnüren, Auf-
spannen des Körpers auf einer Leiter) aus der Übung kamen, wurde
der Leugnende durch Stockstreiche zum Geständnisse gezwungen.
Das grausame Strafsystem früherer Jahrhunderte, welches wir hier
in allgemeinen Umrissen schilderten, widerstrebt unseren sittlich-recht-
lichen Anschnuungen, allein es entsprach ganz dem Geiste der damaligen
Zeit. Es herrschte im Mittelalter Aberglaube, Terrorismus und der despo-
tische Geist des recipierten römisch-byzantinischen Strafrechts, welchem
der Gedanke innewohnte, Nachdenken über religiöse Dinge mit Feuer
und Schwert zu unterdrücken. Wenn auch die früheren Jahrhunderte
einzelne bedeutende Errungenschaften aufweisen, so waltete doch bis
zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhundertes der mittelalterliche Geist vor,
denn der Zeitgeist macht keine Sprünge, sondern schreitet allmählich
fort. Um ein humaneres Strafsystem zu schaffen, bedurfte es eines ganz
geänderten Zeitgeistes, und dieser trat in der zweiten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts auf, welches man mit Recht das philosophische nennen
kann. Der Geist der Aufklärung verscheuchte den finsteren Aberglauben
des Mittelalters und mit diesem auch den Teufel aus den Strafgesetzen
und sprach sein vernichtendes Urtheil über alle Hexenprocesse. Zuerst
waren es allerdings die französischen Encyklopädisten, welche Aufklärung
predigten. Einen mächtigen und nachhaltigen Umschwung in der Geistes-
welt brachte aber die deutsche Philosophe hervor und wirkte nament-
lich dadurch umgestaltend auf das Strafrecht, dass sie Strafrechts-
Theorien über das Princip und den Zweck des Strafrechtes aufstellte.
Auch der Italiener Beccaria, dessen treffliche Werke, namentlich das
Werk: „Dei delitti e delle pene“, eine weite Verbreitung fanden, lehrte
mit meisterhafter Beredsamkeit Menschlichkeit in der Strafrechtspflege
und wies die Unverhältnismäßigkeit der Strafen zu den Verbrechen nach.
Der Geist der Aufklärung und Humanität, unterstützt und genährt
durch hochherzige Monarchen (namentlich den edlen Kaiser Josef II.),
gestaltete das Strafsystem immer mehr zu einem mildern und humanen
um. Die Todesstrafe wird gegenwärtig nur auf die schwersten Ver-
brechen angedroht, die Verschärfungen der Todesstrafe und Leibes-
strafen sind gänzlich abgeschafft. Die gewöhnlichsten Strafen der heutigen
Strafgesetze sind Freiheits- und Geldstrafen. Bei der erfolgten Umge-
staltung des allgemeinen Strafrechtes im Geiste der Humanität und Auf-
klärung konnte sich das barbarische Strafsystem der Militär- Gesetze
früherer Zeiten nicht lange halten. Mit Einführung der allgemeinen
Wehrpflicht brach sich die Erkenntnis balın, dass das Heer ein Theil
des Volkes ist, und dass das allgemeine Strafgesetz die Grundlage des
Dangelmaier, Militirrechtl. Abhandlungen. 8