Full text: Militär-Rechtliche und Militär-Ethische Abhandlungen.

118 Der Zeitgeist und das Militär-Strafrecht. 
Strafprocess allmählich zu einem geheimen schriftlichen Inquisitions- 
process um. Dieser Entwicklung folgte auch der Militär-Strafprocess. 
In diesem Jahrlıunderte sind im allgemeinen (Civil-)Strafprocesse durch- 
greifende Reformen eingetreten. Die Principien, auf welchen der moderne 
Strafprocess beruht, sind: Die Mündlichkeit, die Anklage, die Öffentlich- 
keit und die Zulassung der materiellen Vertheidigung im weitesten Um- 
lang. Die Reformbestrebungen auf dem Gebiete des Militär-Stratpro- 
cesses sind bekanntlich dahin gerichtet, diese Principien auch im Militär- 
Strafverfahren zur Geltung zu bringen. 
Diesen in der gegenwärtigen Zeit bestelienden Reformbestrebungen 
kann im allgemeinen die Berechtigung nicht abgesprochen werden. Wie 
(die Wissenschaft des Militär- Strafrechts in jeder Beziehung an die 
Wissenschaft des allgemeinen Strafrechts anzuknüpfen hat, so soll auch 
die Gesetzgebung des Militär-Strafrechts (des materiellen und formellen) 
die Gesetzgebung des allgemeinen Strafrechts zur Grundlage haben. 
Die modernen Process-Principien erscheinen dem Rechtsbewusst- 
sein, welches der Zeitgeist der Gegenwart erzeugt hat, die richtigen zu 
sein. Das mündliche (unmittelbare) Verfahren hat nach unserer heutigen 
Auffassung vor der Schriftlichkeit den Vorzug, dass die Richter selbst 
die Angeklagten, die Zeugen, die Sachverständigen sehen und hören, 
und ihnen so die Würdigung der Individualität der Personen, auf Grund 
deren Aussagen sie ihr Urtheil abgeben sollen, ermöglicht wird, während 
die Schriftlichkeit des Verfahrens die Richter auf die Information des 
Untersuchungsrichters beschränkt. Das Anklageprincip ist dem Unter- 
suchungs-Prineip vorzuziehen, weil bei jenem der Angeklagte jedenfalls 
vor der Hauptverhandlung erfährt, welche Handlung ihm zur Last ge- 
legt wird, gegen welche Beschuldigungen er seine Vertheidigung ein- 
zurichten hat, ferner, weil die Rollen des Auklägers und Richters ge- 
theilt sind, wodurch die Stellung des Richters eine unparteiische wird. 
Die Schwierigkeiten, welche bei der Abfassung einer zeitgemäßen 
Militär-Strafprocess-Ordnung zu bewältigen sind, bestehen, wie allgemein 
bekannt, darin, die modernen Process. Principien mit den Heeres-Ein- 
richtungen in Einklang zu bringen. 
In Deutschland ist die Schaftung einer den Anforderungen des 
heutigen Zeitgeistes entsprechenden einheitlichen Militär-Strafpro- 
cess-Ordnung gewiss eine der wichtigsten Aufgaben der Justiz- und 
Militär-Verwaltung, da bekanntlich im Deutschen Reiche noch drei 
Militär-Strafprocess-Ordnungen (die württembergische vom Jahre 1818, 
die preußische vom Jahre 1845 und die bayrische vom Jahre 1869) be- 
stehen. Einheit nach allen Richtungen hat das Losungswort einer jeden 
Militär-Verwaltung zu sein, da das Heer als die Quintessenz der Kraft 
des Staates nur einen Körper vorstellen soll. Zu einer einheitlichen
	        
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