Die Ehren-Nothwehr. 125
einer Sache. Allein derjenige, welcher einen ungerechten Angriff unter-
nimmt, um eine Sache zu erlangen, ist es selbst, welcher sein Leben
gegen eine Sache ausspielt.
Das Maß der erlaubten Gewalt richtet sich nicht nach dem Werte
des zu vertheidigenden Rechts, sondern nach den Erfordernissen der
nöthigen Vertheidigung. Soviel Gewalt als zur Vertheidigung des Rechts
nothwendig ist, soviel darf man anwenden, sei das Recht selbst groß
oder klein.
Wenn aber die Nothwehr zum Schutze eines Eigenthums-Objects
(einer Sache) von geringem Werte gestattet ist, weshalb sollte sie zum
Schutze der Ehre, welche das höchste Gut des Menschen ist, aus-
geschlossen sein? Warum sollte dies gerade in Bezug auf verbale und
symbolische Injurien der Fall sein?
Nach Ansicht mancher Schriftsteller soll die Ehren-Nothwehr des-
halb nicht gestattet sein, weil die Ehre unverletzlich ist. Die Menschen-
würde (die innere Ehre) ist allerdings unverletzlich. Allein es gibt auclı
eine äußere Ehre, welche in der Achtung und Anerkennung besteht,
welche uns andere zollen, und diese Ehre ist für das sociale Leben
von hoher Bedeutung. Diese Ehre muss jeder, solange er Mitglied des
Staates ist, vertheidigen. Durch unser Thun und Handeln müssen wir
uns diese Ehre erwerben, gegen ungerechte Angriffe müssen wir dieselbe
mit allen gesetzlich erlaubten Mitteln vertheidigen. Nur wer sich selber
ehrt, ist der Ehre wert. Diese äußere Ehre wird durch Schmähungen
und Beschimpfungen, die man ruhig hinnimmt, gefährdet. Wie man
sich das Recht erkämpfen muss, so muss man sich auch die Ehre er-
kämpfen; der Kampf ums Recht ist auch ein Kampf um die Ehre.
Wäre die bürgerliche (d. h. die äußere) Ehre wirklich unverletzlich,
dann würde es auch keine Ehrenbeleidigungs-Processe geben. Auch das
Eigenthumsrecht an einer Sache geht dadurch nicht verloren, dass uns
die Ssche widerrechtlich entzogen wird. Allein um das Eigentlinm zu
genießen, ist der Besitz erforderlich (beati possidentes). Der Besitz ist
eine Eigenthumsposition.
Durch die Nothwehr wird der Besitz vertheidigt. Wie mit dem
Eigenthum und dem Besitze verhält es sich auch mit der Elıre. Die
innere Ehre ist wie das Eigenthumsrecht in abstracto unverletzlich,
allein die äußere Ehre kann wie der Besitz einer Sache verloren gehen,
Gegen rechtswidrige Angriffe auf die Ehre, welche auf eine solche Art
und Weise unternommen werden, dass, wenn denselben nicht auf der
Stelle Einhalt gethan wird, in Anbetracht der socialen Stellung des
Beleidigten, dessen Ehre gefährdet ist, kann die Möglichkeit der Elıren-
Nothwehr nicht ganz in Abrede gestellt werden.
Was die Gesetzgebungen betrifit, so hat Levita erwiesen, dass