Full text: Militär-Rechtliche und Militär-Ethische Abhandlungen.

Über das administrative Ersatzvertahren. 131 
Der Krieg besteht heutzutage nicht mehr in einem bloßen Auf- 
einander-Treffen von Massen. Es besteht vielmehr eine Kriegswissen- 
schaft, welche wie jede Wissenschaft Hilfswissenschaften (z. B. die 
Naturwissenschaften) besitzt und ein großes Gebiet umfasst. Das Studium 
der Kriegswissenschaft nimmt ein Menschenleben vollauf in Anspruch. 
Man muss, wenn man die Fortschritte der Kriegswissenschaft, namentlich 
in unserem Jahrhundert, betrachtet, wahrlich bewundern, was der mensch- 
liche Geist auch auf diesem Gebiete geleistet lat. 
Die Vervollkominnung der Feuerwaffen und die hiedurch bedingte 
weitere Ausdehnung der Schlachtfelder werden eine größere Selbsthätig- 
keit der Unterabtheilungs-Commandanten als früher erfordern. Es wird 
daher gegenwärtig von jedein Officier, nicht bloß von den Commandanten 
größerer Truppenkörper eine kriegswissenschaftliche Bildung erfordert. 
Die Kriegstheoretiker stimmen darin überein, dass künftighin ein noch 
eugeres Zusammenwirken der verschiedenen Waffengattungen nothwendig 
sein wird, als dies früher der Fall war. Der Officier hat dalıer die Taktik 
aller Waffengattungen, nicht bloB derjenigen, welcher er angelıört, zu 
kennen. Mit einem Worte: durch die Fortschritte der Kriegswissenschaft 
sind die Anforderungen, die an die kriegswissenschaftliche Ausbildung 
des Officiers gestellt werden, größere geworden. 
Bei keinem Stande spielt die Autodidaktik eine so große Rolle 
wie beim Militärstande. Ohne ein eingehendes Selbstudium ist eine 
militärische Carriere unmöglich. Allein nicht LloB im eigenen Interesse, 
sondern auch im Interesse des Staates hat der Officier sich in der 
Kriegswissenschaft zu vervollkommnen und den Fortschritten derselben 
gewissenhaft zu folgen. Schon Sokrates hat die Wahrheit dieses Satzes 
erkannt. Als nämlich der griechische Weltweise gehört hatte, «dass ein 
Kriegstheoretiker nach Athen gekommen ist und Vorträge über die Felul- 
herrnkunst angekündigt hat, richtete er au einen seiner Schüler, welcher 
sich der militärischen Laufbahn zu widinen gedachte, die Vorlesungen 
aber nicht besuchte, folgende Worte: „Es ist doch in der That eine 
Schande, junger Mann, dass einer, der im Staate den Feldherrn machen 
will, die beste Gelegenheit, sich hiezu zu bilden, unbenützt vorüber 
gehen lässt. Mit Recht verdient ein solcher bestraft zu werden, weit 
mehr als einer, der die Anfertigung von Bildsäulen übernimmt, olıne 
die Bildhauerkunst erlerut zu haben. Der ganze Staat wird ja in den 
Wechselfällen des Krieges dem Feldherrn anvertraut. Von großer Be- 
deutung sind, wenn er’s recht macht, die guten, und wenn er’s falsclı 
macht, die bösen Folgen.“ !) 
Die kriegswissenschaftliche Ausbildung des Offliciers ist gewiss von 
I) Xenophon, „AMemorabilien“, 3, 1. 
ok
	        
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