Rechte und Pflichten des Officiers im Militär-Strafverfahren. 145
Auch in der Gegenwart stimmen die Militär-Strafprocess-Ordnungen
der großen Militärstaaten (Österreich-Ungarns, Preußens, Frankreichs,
Italiens u. s. w.), so sehr dieselben auch in den Verfahrungs-Principien
von einander abweichen, darin überein, dass der Spruch über Schuld
und Strafe von Militärpersonen gefällt wird. In einzelnen Beziehungen
bestehen allerdings Verschiedenheiten, so z. B. dass nach der Militär-
Strafprocess-Ordnung Italiens nur Officiere als Richter fungieren, wälı-
rend nach den Militär-Strafprocess-Ordnungen Österreich-Ungarns, Preu-
Bens und Frankreichs in Strafsachen über Personen des Mannschafts-
standes auch Unterofficiere, bezieliungsweise Soldaten ohne Chargengrad,
als Mitrichter berufen werden, dass nach der Militär-Strafprocess-Ord-
nung Österreich-Ungarns auch der Auditor ein Votum deeisivum (ent-
scheidende Stimme) im Kriegsrecht hat, während dem preußischen Audi-
teur nur eine berathende Stimme zukommt, dass nach der italienischen
Militär-Strafprocess-Ordnung ein Militärjurist (avoccato fiscale militare)
nur die Anklage vertritt, und nach der Militär-Strafprocess-Ordnung
Frankreichs das juristische Element fast gänzlich mangelt. Ein weiterer
Unterschied ist, dass in Bayern Militär-Schwurgerichte, in Österreich-
Ungarn, Preußen, Italien, Frankreich Militär-Schöffengerichte bestehen.
Die Thatsache, dass zu allen Zeiten und in allen Staaten die
Militärgerichte aus Standesgenossen des Beschuldigten zusammengesetzt
sind, lässt erkennen, dass der genossenschaftliche Charakter der Militär-
gerichte einen tiefen, innern Grund hat.
Das Heer bildet einen selbständigen Organismus im Staate, die
Heeresangehörigen haben, vermöge der Bestimmung des Heeres für den
Krieg, besondere Pflichten, welche den andern Staatsbürgern nicht ob-
liegen. Die Beurtheilung der Strafbarkeit der Übertretung dieser be-
sondern Berufs- und Standespflichten kann nur von Personen geschehen,
welche dieselben Pflichten haben und mitten im militärischen Leben
stehen. Durch die Eigenart der militärischen Verhältnisse erscheint aber
auch oft ein Delict, welches von einem Soldaten begangen wird, anders
gestaltet, als wenn es von einem anderen Bürger vollbracht wird. Die
Strafbarkeit von durch Soldaten begangenen Delicten kann daher anclı
nur von Soldaten (Militärpersonen) richtig beurtheilt werden.
Eine Hauptbedingung der Schlagfertigkeit des Heeres ist, was hier
wohl eines weitern Beweises nicht bedarf, die Disciplin.
Die Disciplin gründet sich hauptsächlich auf die Achtung des
Untergebenen vor dem Vorgesetzten. Das Richteramt stand von jeher
und bei allen Nationen in hohem Ansehen, da der Rechtszustand die
erste Bedingung für das Wohl und Gedeihen einer Gemeinschaft von
Menschen, und der Richter das Organ ist, durch welches das Recht zur
Anwendung kommt. Es ist daher einleuchtend, dass die Achtung, welche
Dangelmaieor, Militärrechtl. Abhandlungen. 10