148 Rechte und Pflichten des Officiers ım Militär-Strafverfahren.
geübt werden. Es ist gewiss ein erhabener Gedanke, der in unserem
Kriegsrecht zum Ausdruck gelangt, dass dem Officier sowohl als dem
Soldaten des Mannschaftsstandes als Richter die gleichen Rechte zu-
kommen.
Jedes Urtheilen im Kriegsrecht enthält eine logisch juristische
Thätigkeit; wenn nämlich erwiesen ist, dass der Beschuldigte die ihm
angeschuldigte That mit allen ihren Merkmalen begangen hat, was eine
Thatfrage ist, so entsteht die weitere Frage, als welches Delict die
That sich darstellt, ob die That alle jene Momente in sich schließt,
welche vom Gesetze zum Vorhandensein eines bestimmten Delictes er-
fordert werden. Diese Thätigkeit wird als die Qualification der That
bezeichnet. Auch das Abwägen der Erschwerungs- und Milderungs-
umstände und die Verhängung der dem Verschulden entsprechenden
Strafe erfordert eine Gewandtheit im juristischen Denken.
Die Fachbildung des Soldaten ist nicht die juristische, sondern
eine kriegswissenschaftliche. Der Soldat als Richter wird daher Auf-
klärung über zweifelhafte Rechtsfragen bei dem Auditor, welcher ein
Rechtskundiger ist und seine berathende Stimme zuerst abgibt, erholen.
Die Ansicht des Juristen ist in juristischen Dingen gewiss ebenso maß-
gebend wie die Ansicht des Arztes in medicinischen Angelegenheiten,
und überhaupt die Ansicht irgend eines Sachverständigen in dem be-
treffenden Fache. Die Ansicht des Auditors wird im Kriegsrechte in
der Regel die maßgebende sein, da er eingehende Rechtskenntnisse be-
sitzt. Gebunden ist jedoch der Mitrichter (so wollen wir den Soldaten
als Richter nennen) an die Ansicht des Auditors nicht. Jeder Richter
hat. vielmehr nach seiner eigenen Überzeugung und nach den bestehen-
den Gesetzen zu urtheilen. Wenn also der Auditor auf „schuldig“ er-
kennt, so kann der Soldat als Richter, wenn er von der Unschuld des
Beschuldigten überzeugt ist, auf „nieht schuldig“ erkennen, und um-
gekehrt kann er, wenn der Auditor auf „nicht schuldig“ den Antrag
stellt, im Falle er von der Schuld überzeugt ist, auf „schuldig“ sprechen.
Der Mitrichter kann auch in Bezug auf die Qualification der That von
dem Votum informativum des Auditors abweichen. Wenn z. B. der
Anditor eine Entweichung als das Verbrechen der Desertion qualificiert,
kann der Mitrichter, wenn er der Überzeugung ist, dass die Entweichung
nicht in meineidiger Absicht geschah, auf „eigenmächtige Entfernung“
erkennen. In diesem Falle bedingt die verschiedene @nalification auch
eine Verschiedenheit in der zuzuerkennenden Strafe, da auf die De-
sertion eine andere Strafe als auf die eigenmächtige Entfernung gesetzt
ist. Endlich kann der Mitrichter, auch wenn er sich in Bezug auf die
Qualification der That den Votum informativum des Anditors anschließt,
in Bezug auf die zu verhängende Strafe von demselben abweichen,