162 Die philosophische Begründung des Militär-Strafrechtes.
Anderen Schmerzen und Qualen zufügt, Strafe leidet, dass die Sühne
der Schuld eintritt. Die dem Menschen innewohnende Idee einer ewigen
Gerechtigkeit, nach welcher jedem das Seine zutheil wird, hat auch in
den Religionen der Völker eine große Rolle gespielt. Nach dem Tode
soll die Seele des Gerechten ewiger Freuden (welche nach National-
Charakter verschieden gedacht sind) theilhaftig werden, die Seele des
Ungerechten aber zeitliche oder ewige Strafen erleiden. Die Idee der
(Gerechtigkeit ist so sehr in unserem Rechtsbewusstsein begründet, dass
ein Trauerspiel, in welchem der Thäter ungestraft entgeht, niemals eine
sittliche Befriedigung in uns zurücklüsst. Was aber ist das Leben an-
deres als ein Trauerspiel, wenn auch einzelne Abschnitte den Stoff zu
Lustspielen abgeben können!
Auf der uns innewohnenden Idee der Vergeltung beruht die Blut-
rache, welche in der Jugendperiode eines jeden Volkes, bevor noch die
Staatsgewalt erstarkt ist, vorkommt. Der in seinen Rechten Gekränkte
greift zum Schwert, um sich für das erlittene Unrecht Genugthuung zu
verschaffen. Ist er todt, so iibernehmen -diese Pflicht die Verwandten.
Indem der Verletzte, beziehungsweise die Verwandten desselben an dem
Übelthäter Rache nehmen, glauben sie kein Unrecht zu begehen, da ja
auch in der Weltordnung eine ewige vergeltende Gerechtigkeit besteht.
Aus der Blutrache ist mit Erstarkung der Staatsgewalt das Strafrecht
des Staates entstanden und deutet sonach auch die historische Entwick-
lung des Strafrechts darauf hin, dass der Grund auch der staatlichen
(menschlichen) Strafe die Gerechtigkeit ist. In Athen waren die Vor-
steher des Cultus der Erinnyen die Areopagiten, da sich die Auffassung
der Eörinnyen als Eumeniden, das ist wohlwollende Wesen, welche durch
die Sühne der Übeltliaten der Menschheit Segen bringen, besonders bei
Äschylos, an die Stiftung des Areopags anknüpfte, welcher Gerichtshof
die Sitte der Blutrache verdrüngte. Dies beweist, dass von den grie-
chischen Tragikern und dem griechischen Volke die staatliche Strafe
mit der in der Weltordnung bestehenden ewigen Gerechtigkeit in Zu-
sammenhang gebracht wurde,
Der Staat ist die höchste sittliche und rechtliche Ordnung unter
den Menschen. Nur bei «(lem Bestehen einer Rechtsordnung ist das Be-
stehen des Staates möglich. Die Vernunft, die das Bestehen der Rechts-
ordnung gebietet, fordert auch, dass das Gesetz unverletzlich ist, dass
die gegen das Gesetz unternommenen Handlungen durch Strafe als
nichtig erklärt werden. Es ist daher nicht nöthig, zur Begründung der
staatlichen Strafe sich mit Stahl auf einen göttlichen Auftrag des Staates
zu berufen.
Bei Militär-Delicten ist das Object der Rechtsverletzung nicht der
einzelne Mensch, sondern der Staat selbst. Militär-Delicte sind Delicte