Die philosophische Begründung des Militär-Strafrechts. 165
Disciplin ist. Wird die Bekleidung und Ausrüstung vernachlässigt, so
fehlt dem Betreffenden der nöthige Eifer in Erfüllung seiner Pflichten.
Der Gehorsam gegen den Vorgesetzten und die militärischen Vorschriften,
und die Sorgfalt, mit welcher. alle Standes-Obliegenheiten verrichtet
werden, gehören zur strammen Heeres-Disciplin.
Auf dem Gehorsam des Soldaten gegen die Vorgesetzten und das
Gesetz, auf der Treue des Soldaten zur Fahne beruht die Sicherheit des
Staates. Durch die Militär-Delicte wird, wie wir oben gesehen, der Kriegs-
tüchtigkeit des Heeres geschadet. Die Militär-Delicte sind daher gegen den
Staat, gegen das eigene Vaterland gerichtet. Wird von der Vernunft
vermöge eines ethischen Gesetzes eine Sühne wegen Delicte, welche
gegen einen einzelnen Menschen begangen werden, gefordert, so ist dies
umsomehr bei Delicten der Fall, welche gegen die Gesammtheit, gegen
den Staat, gegen das eigene Vaterland begangen werden. Die Be-
strafung der Militär-Delicte entspricht der Gerechtig-
keit. Vom Staate werden dieselben innerhalb der Grenzen
der Gerechtigkeit zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung
im Heere bestraft.
Da das Bestehen des Heeres nothwendig ist, so wird von der
Rechtsvernunft die Bestrafung der Militär-Delicte gefordert. Es besteht
ein Soll und Haben zwischen dem Bürger und dem Staate. Viel verlangt
der Staat von seinen Bürgern, unendlich mehr aber ist es, was der Staat
seinen Bürgern gewährt. Der Staat verlangt von seinen Bürgern finanzielle
und persönliche Leistungen, dafür aber gewährt der Staat seinen Bürgern
die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung im Innern, er fördert die Cultur
und Civilisation insbesonders durch Errichtung von Anstalten, in welchen
die Staatsangehörigen sich ausbilden können, er gewährt den durch
Alter oder Krankheit Erwerbsunfähigen Unterstützung und Unterhalt;
der Staat fördert den Verkehr durch den Bau von Straßen und Eisen-
bahnen, endlich sichert der Staat durch das Heer sich selbst und da-
durch seine Bürger und die Selbständigkeit der Nation gegen von außen
drohende Gefahren.
Heutzutage nehmen die Leistungen für das Heer in persönlicher
und finanzieller Richtung die Nationalkraft am meisten in Anspruch.
Die anderen Leistungen für den Staat kommen dem gegenüber, was
der Einzelne für den Militärdienst und für die Erhaltung des Heeres
zu leisten hat, kaum in Betracht.') Deunoch ist das Heer der Stolz
jedes thatkräftigen Volkes, denn der Bürger hat das Bewusstsein, dass
das Heer es ist, welches die Selbständigkeit des Staates, die Rechts-
ordnung und den Verkehr sichert.
I) Ihering 1. c., S. 542.