180 Der Geist des Heeres und der Idealismus.
dieselbe bis zur Hingabe des Lebens für die Allgemeinheit. Der Soldat,
in dessen Brust das Pflichtgefühl lebendig ist, wird auch den Gegner,
der in Ausübung der Pflicht für sein Vaterland streitet, achten. Das
Pflichtgefühl, welches wir als die Voraussetzung aller militärischen
Tugenden und die Grundlage der Disciplin kennen gelernt haben,
ist eine dem Menschen innewohnende, von ihm selbst gesetzte Idee.
Eine Idee, nicht etwas Materielles, macht die Kraft des
Heeres aus.
Wir haben oben gesagt, dass aus dem Pflichtgefühle die mili-
tärische Ehre entspringt. Für den praktischen Materialisten ist die
Ehre nur ein schwankendes, wandelbares Ceremoniell, bedingt durch die
jeweilige Tagesmeinung. Der Idealist hingegen fasst die innere Ehre als
(las dem Menschen innewohnende Bestreben, die Pflicht zu erfüllen, auf,
woraus sich das Bewusstsein des Menschen vor seiner eigenen Würde
ergibt. Die äußere Ehre ist die Achtung, welche der Staat und die Gesell-
schaft dem Einzelnen zollt.
Der Mensch weiß, dass er nur als Mitglied der Gesellschaft etwas
vermag. Aus diesem Bewusstsein entsteht das Bestreben des Menschen,
von anderen überhaupt, und insbesondere auf die Stellung, die er ein-
nimmt, geachtet zu werden. Er sucht zu beweisen, dass er jene Eigen-
schaften besitze, welche seine Stellung erfordert, und verlangt diese
Anerkennung (Standesehre).
Richtet sich das Streben dalıin, äußere Zeichen dieser Aner-
kennung zu erlangen, so entsteht leicht Ehrgeiz. Soviel übrigens gegen
den Elırgeiz gepredigt wird, und obwohl derselbe auch in Ehrsucht
übergehen kann, so ist doch das Streben nach äußerer Ehre, nach einem
idealen, immateriellen Gut sittlich höher als die prosaische Jagd nach
schnödem Gewinn.!) _
Die äußere Ehre ist nicht unwandelbar. Das Maß der Achtung,
welches den einzelnen Ständen zutheil wird, ist nach Zeit, Ort und
Nation verschieden. Die Schauspieler z. B. waren bei den Griechen sehr
geachtet, bei den Römern hingegen verachtet. Nero machte sich durch
seine Vorliebe für die Schauspielkunst mehr noch als durch seine Grau-
samkeiten verhasst. Was den Militärstand betrifft, so wurde derselbe
immer geachtet. Im Vergleiche jedoch zur Zeit, da die Heere aus ge-
worbenen Söldnern bestanden, ist das Ansehen des Militärstandes seit
Einführung der allgemeinen Wehrpflicht bedeutend gestiegen.
Die militärische Ehre ist eine Standesehre und besteht, wie Schopen-
hauer trefflich sagt, darin, dass, wer sich zur Vertheidigung des gemein-
samen Vaterlandes anheischig gemacht hat, die dazu nöthigen Eigen-
1) Eckstein, „Die Ihre in Philosophie und Recht“, 1889, S. 10.