Full text: Militär-Rechtliche und Militär-Ethische Abhandlungen.

Der Geist des Heeres und der Idealismus. 183 
zwingbar, während ein Heer, welches sich für verloren hält, meist schon 
verloren ist. 
Das ideale Selbstgefühl ist das Bewusstsein des eigenen Wertes. 
Das Selbstgefühl macht thätig, Thätigkeit hat aber schon an sich einen 
Wert, weil sie an das Handeln gewöhnt, und dies gehört zum pflicht- 
gemäßen Betragen. Allerdings darf das Selbstvertrauen nicht soweit 
gehen, den Gegner zu unterschätzen, denn, wie die Kriegsgeschichte 
lehrt, war die Unterschätzung des Gegners oft die Ursache unglücklicher 
Kriege. — Mit dem Selbstvertrauen soll das Bewusstsein der Zusammen- 
gehörigkeit (Kameradschaft) Hand in Hand gehen. Die Kameradschaft 
bewirkt, dass der Soldat seinem Kameraden, wenn dieser in Gefahr ist, 
beispringt, in der festen Überzeugung, dass, wenn er sich in der gleichen 
Lage befände, auch die anderen das gleiche tlıun würden Das Bewusst- 
sein der Zusammengehörigkeit bewirkt, dass jeder einzelne im Vertrauen 
auf die Kameraden seine besten Kräfte für das allgemeine Wohl ein- 
setzt und muthvoll der Gefahr entgegengeht.') 
Ein mächtiger geistiger Factor im Heerwesen ist die Vaterlands- 
liebe. Nichts ist natürlicher als diese. Vertheidigt doch das Thier das 
Nest, wie sollte nicht der Mensch das Vaterland vertheidigen! Schon 
die alten Griechen (z. B. Aristoteles, „Rhetor.“, I, c. 9) hielten die Vater- 
landsliebe für die höchste Tugend, da diejenige Tugend die erste sein 
müsste, welche anderen nützlich ist. Gehoben wird die Vaterlandsliebe 
durch eine ruhmvolle Vergangenheit, durch eine Literatur, welche von 
patriotischem Geiste getragen ist, und endlich dadurch, dass man Männer, 
die sich um das Vaterland verdient gemacht haben, öffentlich (z. B. 
durch Errichtung von Statuen) elırt, 
Der richtig aufgefasste Kosmopolitismus ist nicht Feind des Pa- 
triotismus, da die Weltkenntnis nur dazu beitragen kann, das Vaterland 
zu lieben. 
Wir haben nunmehr zu untersuchen, welche Mittel anzuwenden 
sind, um einen guten Geist des Heeres hervorzubringen. — Da das 
Pflichtgefühl das Princip der Disciplin ist, so wird die Hauptaufgabe 
der Kriegsverwaltung dahin gerichtet sein müssen, das Pflichtgefühl 
wachzurufen und zu kräftigen. 
Schon die alten Philosophen lehrten, dass die Tugend erlernbar 
ist. Sokrates identificierte sogar die Tugend mit dem Wissen, was nach 
unserer Ansicht allerdings nur insofern richtig ist, als die Pflichterfüllung 
voraussetzt, dass die Pflichten als solche erkannt werden. In jedem 
Menschen findet sich eine mehr oder minder ausgesprochene Anlage 
zum Guten oder Bösen. Durch Einwirkung auf die Denkungsart kann 
  
ı) v.d. Goltz, „Das Volk in Waffen“, 1890, S. 150.
	        
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