Der Geist des Heeres und der Idealisinus. 185
Glaube au ein höheres Wesen ist ein natürlicher Trieb eines jeden
Menschen. „Es ist dem Menschen angeboren, dass sein Gefühl hinauf
und vorwärts dringt“ (Goethe). Die Philosophie ist die Wissenschaft der
Wissenschaften. Die Religion spricht jedoch eine beredtere Sprache
zum Herzen des Menschen als irgend eine philosophische Lehre. Die
Philosophie ist nur für wenige Menschen, die Religion aber für die Welt.
Niemals wird die Philosophie die Religion, welche man auch die Volks-
philosophie genannt hat, ersetzen können.')
Indem die Religion die Erfüllung der Pflichten gegen Kaiser und
Vaterland als ein göttliches Gebot verkündet, die Nichterfüllung der
Pflichten als Sünde bezeichnet, erzieht sie brave Bürger und tüchtige
Soldaten. Eine Handlung, welche nur aus Furcht vor Strafe (daher
auch vor ewigen Strafen) begangen wird, ist nicht eine moralisch gute,
da eine solche Handlung nur die ist, welche der Pflichterfüllung halber
(ohne Rücksicht auf andere Zwecke) vollführt wird. Die Religion kann
aber durch Androhung von ewigen Strafen gegen schlechte Handlungen
und durch Verheißunng von Belohnungen für gute Handlungen, das
pflichtgemäße Handeln den Menschen zur Gewohnheit machen, und
hierin bestelıt die Hauptaufgabe der religiösen Erziehung. Der Staat
wird daher auf die Verbreitung der Religion unter seinen Bürgern
großes Gewicht legen. Eine Lehre allerdings, welche ein Gebot einer
Obrigkeit nicht zu befolgen auffordert, gibt nur etwas als Religion aus,
was nicht Religion ist, und muss vom Staat im Interesse der staatlichen
Ordnung verboten werden. Wenn daher eine Lehre die Aus-
übung des Waffendienstes verbietet, so hat dieselbe kein
Recht auf staatliche Anerkennung. Werden den Waffendienst
betreffende Befehle nicht befolgt, so schützt auch nicht die Berufung
auf religiöse Überzeugung vor Anwendung der gesetzlichen Strafe.
Die Gottesfurcht ziert den Soldaten, denn dieselbe ist die Grund-
lage eines moralischen Lebenswandels und eine Aneiferung zur treuen
Pflichterfüllung. Die Geschichte lelırt, dass die Völker nur so lange ein
gesundes, kräftiges Leben führen und im Aufschwung begriffen sind,
als sie einen festen Glauben haben. Gebirgsvölker, welche ein kräftiges
religiöses Gefühl haben, stellen immer tüchtige Soldaten. Wenn der
religiöse Glaube bei den Völkern aufhört, lässt auch der politische Ver-
fall nicht lange auf sich warten. Dies war bei den Griechen, bei den
Römern u. s. w. der Fall. — Ein mir bekannter Professor pflegte scherz-
weise zu sagen, dass die Völker, welche einen guten Appetit oder einen
starken Glauben haben, meist kriegerisch sind, und spielte hiebei auf
die Kriege aus materiellen Interessen (die Handelskriege) und die Re-
ı) E Frantz, „Philosophismus und Christenthum“, 1875, S. 20.