Full text: Militär-Rechtliche und Militär-Ethische Abhandlungen.

Der Geist des Heeres und der Idealismus. 189 
andem Individuums unter, hingegen geschieht die Unterordnung 
unter den allgemeinen Willen mit Ergebung und Bereitwilligkeit. 
Der Soldat muss daher verstehen lernen, dass der Gehorsam, der von 
ihm gefordert wird, des allgemeinen Wohles halber geleistet werden 
muss. Durch Lelre und eigenes Beispiel muss der Vorgesetzte seinen 
Untergebenen dieses Verständnis beibringen und dasselbe fördern. 
Der Dienst wird jene magische Kraft, welche den Beruf heilig er- 
scheinen lässt, nur dann ausüben, wenn dem Soldaten, sofern nicht der 
Dienst gebieterisch das Gegentheil erheischt und selbstverständlich 
innerhalb der Grenzen der Gesetze, volle Freiheit gelassen wird. Eine 
ängstliche Bevormundung des Soldaten und ein Eingreifen in die Selb- 
ständigkeit desselben ist gewiss nicht am Platze. Der Soldat muss sich 
trotz der vielfaclien Pflichten, die ihm obliegen, als freier Mann fühlen. 
Die Freiheit ist die Mutter der geistigen und körperlichen Kraft. Der 
Wille ist die unerschöpfliche und unerforschte Urkraft alles Lebens in 
der Natur. Der Wille des Menschen bringt dessen Thaten hervor. Der 
oft citierte Satz: „Im Anfange war die That“, sollte richtig heißen: 
„Im Anfange war der Wille.“ Der Wille ist das Primäre, die That das 
Secundäre. Nur der Mensch, der seinen Willen hat, kann Entscllüsse 
fassen und dieselben vollführen Dies kommt bei der heutigen Krieg- 
führung mehr als früher in Betracht, da der Krieg der Gegenwart 
(namentlich infolge der größeren Ausdehnung der Schlachtfelder) es mit 
sich bringt, dass der Soldat öfter als früher in die Lage kommt, eigene 
Entschlüsse zu fassen und dieselben auszuführen. Die Dienstvorschriften 
der Gegenwart zielen mit Recht dahin ab, das Princip des unbedingten 
Gehorsams im Dienste und soweit es der Dienst erfordert, mit der 
freien Bethätigung der Persönlichkeit zu vereinigen. Niemals hat ein 
Heer, in welchem despotische Willkür herrschte, ein aus freien Männern 
bestehendes Heer besiegt. Die militärische Freiheit darf kein hohles 
Wort sein, es müssen die Worte des Dichters Wahrheit sein: 
Aus der Welt die Freiheit verschwunden ist, 
Der Soldat allein ist der freie Mann. 
(Schiller, „Wallensteins Lager“) 
Soweit es der Dienst gestattet, muss dem Soldaten (namentlich 
dem Officier und Unterofficier) ein selbständiger Wirkungskreis ein- 
geräumt werden, da hiedurch das ideale Selbstgefühl wachgerufen und 
gestärkt wird. Da, wie wir oben gesehen haben, die Ehre das höchste 
Gut des Soldaten ist, so muss auch die Behandlung des Soldaten dar- 
auf abzielen, das Ehrgefühl desselben zu wecken. Entelirende Strafen, 
durch welche das Ehrgefühl des Einzelnen und der Standesgenossen 
untergraben wird, sind nicht in Anwendung zu bringen.
	        
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