Der militärische Landesverrath.
Die Gesetzgebung der großen Militärstaaten beschäftigt sich in
der Gegenwart reger als je zuvor mit dem militärischen Landesverrath
in Kriegs-, namentlich aber in Friedenszeiten.
in Frankreich wurde im Jahre 1886, als noch Boulanger an der
Spitze der Kriegsverwaltung stand, ein Gesetz gegen die Spionage und
den Verrath militärischer Geheimnisse erlassen, welches durch einen
der französischen Kammer im Jahre 1891 zugekommenen Entwurf ab-
gelöst werden soll. In dem neuen italienischen Strafgesetz sowohl, als
auch in dem Entwurf eines Strafgesetzes für die königlich italienische
Armee, welchen Kriegsminister Pelloux im December 1891 der italieni-
schen Kammer vorlegte, sind eingehende Normen über den in Rede
stehenden Gegenstand enthalten. Der Entwurf eines Österreichischen
Civil-Strafgesetzes !) trifft ausführlichere Bestimmungen über den mili-
tärischen Landesverrath in Kriegszeiten als dies in den früheren Ge-
setzen der Fall war. Über den gleichen Gegenstand ist in jüngster Zeit
auch in Russland ein Gesetz erschienen. Der „Deutsche Reichsanzeiger“
vom 23. Februar 1892 veröffentlichte den Entwurf eines Gesetzes gegen
den Verrath militärischer Geheimnisse und gleichzeitig den Entwurf
eines Gesetzes über den Belagerungszustand in Elsass-Lothringen.
Die rege legislative Thätigkeit aller Stanten über den in Friedens-
zeiten begangenen militärischen Landesverrath, welche durch die im
Frieden getroffenen kriegerischen Vorbereitungen hervorgerufen wurde,
stellt an die Wissenschaft die Aufgabe, die betreffenden Gesetze und
Gesetzentwürfe zu beleuchten, den Sinn und die Tragweite derselben
zu erklären. Gewiss ist es nicht bloß für den Juristen, sondern auch
für jeden gebildeten Militär von Interesse und Wichtigkeit, die neueren
Gesetze über den militärischen Landesverrath zu kennen, da diese Ge-
setze im militärischen Interesse, zum Schutze der Kriegsmacht erlassen
werden.
Der Gegenstand (militärischer Landesverrath in Friedenszeiten)
I) Lamnasch, „Militärischer Landesverrath und Spionage“, Wien 1892.