902 Der militärische Landesverrath.
Besiegung des (iegners gestattet. Die Mit- und Nachwelt verzeiht einem
Feldherrn eher begangene Grausamkeiten als eine verlorene Schlacht.
Erfordert es die militärische Nothwendigkeit, so heißt es auch gegen-
wärtig:
Die Pferde schnauben und setzen an.
Liege wer will mitten in der Balın,
Set’s mein Bruder, mein leiblicher Sohn,
Zerriss’ mir die Seele sein Jammerton,
Über seinen Leib weg muss ich jagen,
Kamn ihn nicht sachte bei Seite tragen.
Wemn aus Rücksichten für das Wohl Einzelner Operationen unter-
blieben, und hiedurch eine Schlacht verloren gehen könnte, so wäre
dies in hohem Grade inhuman. Mit Recht sagt daher Professor Lueder
in seiner im Jahre 1880 erschienenen Schrift: „Recht und Grenzen der
Humanität im Kriege“ auf S.29: „Nicht kann auch das harte Gesetz
der unter Umständen anstatt der Kriegsmanier eintretenden Kriegs-
ralson durch humanitäre Rücksichten außer Kraft gesetzt werden. Wo
ausnalımsweise dieses eherne Gesetz zur Anwendung kommt, noth-
wendigerweise zur Anwendung kommen muss, da kann die Humanität
es nicht hindern.“ Schriften, welche die Humanität im Kriege ohne
Rücksicht auf die militärische Nothwendigkeit und den kriegerischen
Erfolg predigen, ergehen sich nur in Plırasen, und die Phrase ist immer
nur schädlich.
Naclı den Grundsätzen des Völkerrechts!) sollen die Einwohner
des Feindeslandes in Bezug auf ihre Person und ihr Eigenthum unter
dem Schutze der Gesetze stehen. Widerrechtliche Handlungen gegen
Einwohner des Feindeslandes und deren Eigenthum werden von den
Militär-Gerichten strenge geahndet. Die modernen Militär-Strafgesetze
euthalten gegen solche Delicte ausführliche Normen. Andererseits er-
fordert aber die militärische Nothwendigkeit, die Selbst-Erhaltung des
Heeres, dass die Einwohner des Feindeslandes sich aller feindseligen
Handlungen gegen die Kriegsmacht enthalten, beziehungsweise, dass
gegen jene, welche die Kriegsmacht schädigen oder dem Feinde Vor-
schub leisten, mit aller Strenge verfalren werde. Die Strafnormen
gegen die Delicte wider die Kriegsmacht des Staates bestehen zur
Erhaltung der Humanität im Kriege, denn sie enthalten die Aner-
kennung, dass die friedlichen Einwohner des Landes keine Feinde sind.
Der Feldherr der Invasions-Armee kann auch im Interesse der kriege-
rischen Operationen Anordnungen treffen, welche von den Bürgern bei
militärischer Strafe zu beobachten sind. Hiebei handelt er nach eigener
1) „Österreichische militärische Zeitschrift“, 1885, S. 23 ff.