206 Der militärische Landesverrath.
Landen vollkommen etablierte Bureaux d’espionage unterhielten. Auch
Radetzky betont die Wichtigkeit, sich in fortlaufender Kenntnis. von
allen militär-politischen Vorgängen im Auslande zu erhalten.
Das Spionieren!) hat, — das kann nicht geleugnet werden — ver-
möge der Heimlichkeit des Verfahrens und des Gebrauches von Vor-
wänden etwas Gehässiges an sich, deshalb sagt auch Faust zu Mephisto-
pheles, dem Geiste des Bösen und der Vernichtung: „Das Spionieren
scheint’s ist deine Lust.“ Als eine unehrenhafte Handlung kann es je-
doch nicht bezeichnet werden, wenn Personen im Auftrage ihres Staates
und aus patriotischen Motiven die militärschen Vorgänge fremder Staaten
zu erfahren trachten. Kein Staat begelit durch Verwendung geheimer
Kundschafter (Spione) eine Verletzung des Völkerrechts. Nichts desto-
weniger aber werden Spione im Kriege im Falle ihrer Gefangennahme
mit dem Tode bestraft. Es liegt in diesen beiden Sätzen allerdings eine
Disharmonie, welche auszugleichen späteren Zeiten vorbehalten ist.?)
Von der Spionage sind jedoch Recognoscierungen, welche Soldaten
in Uniform vornehmen, wohl zu unterscheiden. Wenn Soldaten in Uniform
in die feindliche Linie eindringen, um die Stellungen auszukundschaften,
so können sie im Falle ihrer Gefangennahme nur als Kriegsgefangene,
nicht aber als Spione behandelt werden. Zum Wesen der Spionage ist
das Betreten des von den Truppen, zu deren Nachtheil die That ge-
schielit, besetzten Territoriums erforderlich. Wenn daher jemand von
einem Kirchthurme aus, oder von seinem Landgute die Bewegungen
der Truppen wahrnimmt, und seine Wahrnehmungen dem Comman-
danten der Besatzungstruppen mittheilt, so liegt ebensowenig wie bei
Recognoscierungen durch einen Luftballon eine Spionage vor. Eigene
Unterthanen des Staates begehen allerdings, wo immer sie sich be-
finden, durch die angeführten Handlungen einen Landesverrath. Eines
Kriegsverrathes machen sich die Einwohner des bereits occupierten
Landes schuldig, welche zum Nachtheil der Invasions-Armee dem Gegner
über militärische Vorgänge Nachricht geben.*)
Das Resultat der bisherigen Ausführungen ist also: Eigene Unter-
thanen eines Staates, welche dem Feinde Vorschub leisten. oder der
Armee ihres Staates einen Schaden zufügen, machen sich, wo immer
sie sich auch befinden, eines Landesverrathes schuldig. Ihre Handlungen
I) Kamptz, „Beiträge zum Staats- und Völkerrecht“, Berlin 1815.
°) Ein strenges, wenngleich den Grundsätzen des Völkerrechts nicht wider-
streitendes Verfahren fand gegen den englischen Major Andre statt, den im Jahre
1780 ein nordamerikanisches Kriegsrecht zum Tode durch den Strang verurtheilte.
Vergebens verwendeten sich für ihn die englischen Generale, vergebens bat er, ls
Kriegsmann erschossen zu werden.
3) Dalın a.a O. 8.13.