Das Disciplinar-Strafrecht und das Prineip der Individuulisierung. 219
arten größere Übel leiden, als sie verdienen. Mit einem Worte, die
Strafe muss der körperlichen und geistigen Natur des Bestraften ent-
sprechen. |
Es soll auch die Strafe mit der Übertretung in einer gewissen
Harmonie stehen, d. h. es soll die Übertretung in der Strafe sich wider-
spiegeln. Die Strafe des Erscheinens in einer bestimmten Adjustierung
beim Rapport wird sich wegen Fehler in der Adjustierung eignen,
während die Strafe der Verrichtung beschwerlicher Arbeiten wegen
Saumseligkeit in Verrichtung der Dienst-Obliegenheiten zu verhängen
sein wird.
Mit der Individualisierung hängt auch die Ökonomie in den Be-
strafungen zusammen. Der Regel naclı muss daher mit den kleineren
Strafen angefangen und vorsichtig gesteigert werden. (Hecker in Stengels
„Wörterbuch des deutschen Verwaltungsrechts“, „Ausübung der Dis-
ciplinar-Strafgewalt.“)
Die Individualisierung ist allerdings nicht die einzige Voraus-
setzung einer gerechten Handhabung des Disciplinar-Strafrechtes. Es
ist ferner erforderlich, dass durch Vorschriften die Competenz zur Ver-
hängung von Disciplinarstrafen genau geregelt ist. Ferner muss als
Grundsatz gelten, dass eine Disciplinarstrafe von auch noch so geringer
Bedeutung nur nach genauer Erhebung des Thatbestandes und nach
gegen den Beschuldigten hergestelltem Schuldbeweis verhängt werden
darf (wie dies auch von unseren Dienstreglements vorgeschrieben ist),
Ferner soll das Beschwerde-Recht genau geregelt sein. Selbstverständ-
lich ist, dass eine Beschwerde in Disciplinar-Angelegenheiten keinen
Suspensiv-Effect haben kann, d. h. die Vollziehung der Strafe nicht
hindern darf, und dass gegen einen Missbrauch dieses Rechtes Strafbe-
stimmungen bestehen müssen.
Jedenfalls aber ist die Individualisierung (welche zu ihrer Voraus-
setzung hat, dass der Strafberechtigte mit Gewissenhaftigkeit vorgeht
und eine richtige Auffassung der militärischen Disciplin und des Rechtes
hat) eine wichtige Bedingung einer gerechten und zweckentsprechenden
Handhabung des Disciplinar-Strafrechtes.
Der Vorgesetzte wird stets des Satzes eingedenk sein müssen:
„Si duo faciunt idem, non est idem“ (Wenn zwei dasselbe thun, so ist
es nicht dasselbe) und wird stets auf die unendliche Verschiedenheit
der Charaktere Rücksicht zu nehmen haben, mit einem Worte, er wird
nicht nach der Schablone vorzugehen, sondern zu individualisieren
haben. Nur eine individualisierende Strafrechtspflege bringt die walıre
Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetze hervor.