Die Militär-Gerichtsbarkeit in ihrer historischen Entwicklung etc. 69
Gegenstand betrachten, dass wir auch die Geschichte befragen, welche
allein uns über die unmittelbare Gegenwart erhebt, einen Fernblick in
die Vergangenheit gestattet und uns zu Schlüssen für die Zukunft be-
rechtigt, und dass wir nach dem Princip, auf welchem die Militär-
Gerichtsbarkeit beruht, suchen.
Die Militär-Gerichtsbarkeit, welche den Gegenstand der gegen-
wärtigen Abhandlung bildet, ist wohl zu unterscheiden von dem Militär-
Strafgesetze und der Militär-Strafprocess-Ordnung. Das Militär-Strafgesetz
enthält den verfassungsmäßig ausgesprochenen Willen der Staatsgewalt
über die Bestrafung der von Militärpersonen begangenen Delicte; es be-
stimmt, welche Handlungen als Verbrechen oder Vergehen aufzufassen
und wie dieselben zu bestrafen sind. Die Militär-Strafprocess-Ordnung
ist der rechtlich geordnete Vorgang bei Verwirklichung des Militär-
Strafgesetzes in einzelnen Fällen.!) Wir sprechen aber hier weder von
den bestehenden Militär-Strafgesetzen und den in denselben vorhandenen
Strafrechtstheorien, noch von dem Processrechte bei den Militärgerichten
und der diesem zugrunde liegenden Processtheorie, sondern unsere Auf-
gabe hier ist, zu bestimmen, welchen Umfang die Militär-Gerichtsbarkeit
des Staates hat, d.h. auf welche Personen und auf welche Rechts-An-
gelegenheiten derselben sich diese Gerichtsbarkeit erstreckt, und welches
Princip derselben zugrunde liegt.
Wir werden aber, da Strafgerichtsbarkeit, Strafrecht und Process
in Wechselbeziehung stehen, indem die Strafgerichtsbarkeit das Straf-
recht im Wege des Strafprocesses zu verwirklichen die Aufgabe hat,
in der Folge auch über das Strafrecht und den Strafprocess zu sprechen
genöthigt sein.
Die Gerichtsbarkeit des Staates zerfällt in die Gerichtsbarkeit in
bürgerlichen Rechts-Angelegenheiten, in die des öffentlichen Rechtes,
wozu namentlich die Strafgerichtsbarkeit gehört, und in die Gerichtsbar-
keit außer Streitsachen.
Die Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechts-Angelegenheiten hat
die Aufgabe, über die privatrechtlichen Ansprüche der einzelnen gegen-
einander zu entscheiden, auszusprechen, ob ein behauptetes Recht im
bestimmten Falle besteht, und dann dem durch den Ausspruch in
formeller Beziehung Berechtigten zu seinem Rechte zu verhelfen. Da
der Staat in die Privatrechte der einzelnen nicht eingreifen darf, so
wird hier nur über eine Klage erkannt.
Wird durch eine Rechtsverletzung die öffentliche Ordnung gestört,
1) Über den Militär-Strafprocess vgl. Damianitsch, „Studien über das Militär-
Strafrecht“, Wien 1862; Hilse, „Die leitenden Grundsätze des heutigen deutschen
Militär-Strafverfahrens“, Berlin 1869; v. Hot, „Darstellung unseres Militär-Gerichts-
wesens“, Berlin 1884.