Die Bedeutung des militärischen Befehles für das Militär-Strafrecht. 9
militärischen Vorgesetzten, welcher gegen die dem obersten Kriegsherrn
schuldige Treue gerichtet wäre, verdient keinen gesetzlichen Schutz;
der Untergebene braucht, ja darf demselben keine Folge leisten.')
Die Pflicht zum Gehorsam besteht also dem Gesagten zufolge
dann nicht, wenn das Anbefohlene ein gemeines oder militärisches
Delict bildet.
Das österreichische Gesetz bestimmt im $ 8:
„Der Befehl eines Vorgesetzten entschuldigt nicht von der Zu-
rechnung eines Verbrechens oder Vergehens, wenn nicht das Gesetz
ausdrücklich eine Ausnahme festsetzt.“
Es fragt sich nun, wie diese Gesetzesstelle zu verstehen ist —
ob etwa so, dass der Untergebene immer strafbar ist, wenn die an-
befohlene Handlung an sich, objectiv betrachtet, ein Verbrechen oder
Vergehen bildet, selbst dann, wenn er den strafbaren Charakter der
Handlung nicht einsah? Es ist ein anerkannter Grundsatz, dass die
Unkenntnis des Strafgesetzes nicht entschuldigt; allein wenn der Unter-
gebene den Vorgesetzten zur Ertheilung eines Befehles für berechtigt
hält, wenn er der Ansicht ist, dass der Vorgesetzte kraft seiner Dienst-
gewalt ein fremdes Recht aufheben kann, und dies ist nicht der Fall,
so handelt es sich nicht mehr um eine Unkenntnis des Strafgesetzes,
sondern es liegt ein Irrthum über eine Thatsache vor, welcher Irrthum
entschuldigen kann. Wenn also jemand den Auftrag eines anderen
vollzieht, in der Ansicht, dass derselbe zur Ertheilung eines solchen
Auftrages berechtigt ist, so felılt der böse Vorsatz und überhaupt jedes
Verschulden und hiemit auch ein wesentliches Moment der Zurechnung.
Das Dienst-Reglement fordert nun, dass der Untergebene jeden Befehl
seines Vorgesetzten unbedingt, willig und zur gehörigen Zeit vollziehe.
Der Soldat ist nicht verpflichtet, ja nicht einmal berechtigt, die Gesetz-
mäßigkeit des ihm ertheilten Auftrages zu prüfen; der Soldat muss
den ihm ertheilten Befelilen alsogleich nachkommen, da sonst die That-
kraft, welche das militärische Wesen so sehr erfordert, erlahmen würde.
Der Befehl des Vorgesetzten entschuldigt den Untergebenen nur dann
nicht, wenn er das Strafbare der That sofort erkannte oder offenbar
erkennen musste, obwohl auch in diesem Falle der ertheilte Befehl ihm
als Milderungs-Umstand zustatten kommt. Hat aber der Soldat nicht
sofort erkannt oder erkennen müssen, dass der ihm ertheilte Befehl
eine vom Strafgesetze verbotene Handlung enthalte, so kann er nicht
zur Verantwortung gezogen werden. Nicht der ertheilte Befehl schützt
ihn vor Strafe, da der Befehl an sich, nach der ausdrücklichen Be-
1) „Spinnt er Verrath, — Verrath trennt alle Bande.“ („Wallensteins Tod“ von
Schiller, zweiter Aufzug, fünfter Auftritt.