85 Über den heutigen Stand der Militär-Rechtswissenschaft u. -Gesetzgebung.
auf das Gesetz, und ein Band brüderlicher Kameradschaft soll alle An-
gehörigen des Heeres verbinden.
Die Umgestaltung des Heerwesens hätte die Rechtswissenschaft
schon längst veranlassen sollen, sich eingehender mit dem Militärrecht
zu beschäftigen, und wird es eine ihrer wichtigsten Aufgaben sein, das
auf diesem Gebiete Versäumte nachzuholen. Zunächst fragen wir uns,
welchen Umfang das Militärrecht hat, denn, bevor man eine Wissen-
schaft darstellen will, muss man ihr Gebiet, und das sie von anderen
Wissenschaften Unterscheidende bestimmen, da sonst die Grenzen aller
Wissenschaften in einander laufen, und keine derselben gründlich ab-
gehandelt werden kann.)
Das Militär-Strafrecht ist nicht gleichbedeutend mit dem Militär-
recht überhaupt, sondern nur ein Theil desselben. Das Militärrecht zer-
fällt in drei Gebiete: „Das öffentliche Recht des Heeres, das
bürgerliche Recht desselben und das Militär-Strafrecht. Das
Militär-Strafrecht, mit welchem wir uns hier beschäftigen, kann auch
das eigentliche Militärrecht genannt werden, weil es die innern Ver-
hältnisse des Heeres, namentlich das Verhältnis des Vorgesetzten zum
Untergebenen und umgekehrt regelt. Es ist ein bleibendes Verdienst
des großen Staatsrechtslehrers und National-Ökonomen L. v. Stein in
seinem obeitierten Werke, darauf hingewiesen und wissenschaftlich be-
gründet zu haben, dass alle Theile des Militärrechts in einem organi-
schen Zusammenhange stehend von einem Princip durchdrungen sind,
und man daher von einem System des Militärrechts sprechen kann.
Das Prineip, welches das Militärrecht beherrscht, ist durch die
Bestimmung des Heeres gegeben. Das Heer ist für den Krieg bestimmt,
und das Wohl und Wehe des Staates hängt davon ab, ob das Heer
seiner Aufgabe gewachsen ist, da die Idee eines ewigen Friedens nur
ein bisher noch nicht verwirklichtes Ideal edel denkender Philosophen
ist. Durch die Bestimmung des Heeres für den Krieg sind Modifica-
tionen des allgemeinen Rechts in Bezug auf das Heer und die dem
Heere angehörigen Personen nothwendig bedingt. Das Militärrecht ist,
wie Stein treffend bemerkt, die systematisch dargestellte Mo-
dification des bürgerlichen, öffentlichen und Strafrechts,
welche durch das Wesen und die staatliche Bestimmung des Heeres
gefordert wird. Das öffentliche Recht des Heeres regelt dessen
Stellung als Ganzes zum Staate und enthält die Modificationen des
öffentlichen Rechts in Bezug auf die dem Hesre angehörigen Personen ?)
Der Grundsatz des unbedingten Gehorsams gegen den obersten
ı) Kant, „Prolegomena“, S 1.
2) Die Literatur-Augaben über das öffentliche Recht des Heeres sind in dem