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8 14. Die Regierungsverwesung. Für den Fall der Regierungsunfähigkeit des zur
Thronfolge Berufenen galten bis zur Verfassung die Regeln der Goldenen Bulle, cap.
XXV ##2 und cap. VII § 4. Danach war der wegen körperlicher oder geistiger Ge-
brechen Untaugliche von der Thronfolge ausgeschlossen. Für den Minderjährigen dagegen
half die Vormundschaft (tutela et administratio) des nächsten Agnaten aus.1)
Der Ausschluß von der Thronfolge ist weggefallen. Bei jeder Art von Regierungs-
unfähigkeit tritt jetzt die Regierungsverwesung ein.m) Diese bedeutet, wie
schon der Name sagt, in erster Linie die Besorgung der Staatsgeschäfte an Stelle des re-
gierungsunfähigen Königs. Dem Regierungsverweser gebührt dann nebenbei auch die
der Vormundschaft eigentümliche Fürsorge für die Person und das Vermögen des Königs,
dieses aber, namentlich in ersterer Beziehung, nur beschränkterweise; vgl. oben § 10, III.
Nr. 2. Das eigentümliche Wesen der Einrichtung ist beherrscht von rein staatsrechtlichen
Gesichtspunkten.)
I. Die Verf.-Urk. § 9 gibt zweierlei Voraussetzungen an, unter welchen die Regierungs-
verwesung eintreten soll: Minderjährigkeit des Königs oder Verhinderung
an der Ausübung der Regierung auf längere Zeit.
Der erste Fall ist glatt: es handelt sich darum, daß der König vor zurückgelegtem 18. Le-
bensjahre zum Throne gelangt ist (vgl. oben § 10, III Nr. 2).
Der zweite Fall dagegen liegt nicht so einfach. Er umfaßt einerseits die schon in der
Goldenen Bulle vorgesehenen Gebrechen, die überhaupt als regierungsuntauglich er-
scheinen lassen, aber jetzt die Thronfolge nicht mehr hindern. Andererseits gehören dahin
auch Störungen vorübergehender Art, die aber um ihrer Dauer willen gleichwohl eine
Vertretung nötig machen: schwere Krankheit, längere Abwesenheit, Gefangenschaft. Diese
Aufzählung ist nicht erschöpfend. Es müssen überdies noch Fälle zugelassen werden, die
selbstverständlich zur Regierungsverwesung führen, auch wenn der Wortlaut des §9 keine
Anwendung darauf zu finden scheint. So vor allem der der Schwangerschaft einer Witwe,
deren Sohn zur Thronfolge berufen sein würde. Hier müßte eine Regierungsverwesung
eintreten für den ungewissen König.“)
1) Weiße, Sächs. Staats-R. 1 S. 82. Über einige Fälle, wo man von dieser „gesetz-
lichen Tutel“ abzuweichen suchte, ebenda S. 82 und S. 83 Note 4.
2) Die üblichere Ausdrucksweise ist: Regent und Regentschaft. Die Verf.-Urk. selbst bedient
sich des letzteren Wortes in § 11, außerdem in der Zusammensetzung: Regentschaftsrat (&14 und
§#15). Mit der Bezeichnung: „Regent" meint sie den König (§5 20, 36, 83). Der Ausdruck Regierungs-
verwesung ist den Verfassungen von Bayern und Württemberg nachgebildet, die nur beide etwas
großartiger von „Reichsverwesung“ sprechen.
3) Der Fall einer Regierungsverwesung ist in Sachsen seit Einführung der Verfassung noch
nicht vorgekommen. Zur Auslegung dient das Recht anderer Staaten, deren Verfassung ähn-
liche Bestimmungen enthält. In dieser Hinsicht ist vor allem zu beachten, daß die Sächsische Ver-
sassung hier ihren Text fast wörtlich aus der Bayrischen und Württembergischen Verfassung ent-
nommen hat, und zwar abwechselnd bald von der einen, bald von der anderen. Es entspricht
ihr 99 der Bayr. Verf. Tit. II I, ihr § 10, 5 12 und § 13 der Württ. Verf. 5 13 und §& 14, ihr § 14
der Bayr. Verf. Tit. II §&19, ihr § 15 der Württ. Verf. 15.
4) Opitz, Staats-R. 1 S. 165 Note 10, bemerkt mit Recht, daß das nicht so schlechthin
unter den Fall einer „Verhinderung“ des Königs gebracht werden kann. Was zur Welt kommt, ist
ja möglicherweise gar kein König, sondern eine zur ordentlichen Thronfolge nicht berufene Prinzessin.
— Bülau, Verf. u. Verw. I S. 107, glaubt noch einen weiteren Fall anführen zu müssen
von einem „Hindernis“, das dem König die eigene Verwaltung des Landes unmöglich machte“.
Erläge dann vor, wenn der König, ohne zu entsagen, sich weigerte, die Verfassung zu beobachten.
Da müsse eine Regierungsverwesung eintreten, ob er will oder nicht. Das ist für Bülau das
Auskunftsmittel, um einen widerspenstigen König auch dann zu beseitigen, wenn mit der in erster
Linie anzunehmenden,, stillschweigenden Entsagung“ nicht durchzukommen ist. Vgl. oben 810 Note 5.