Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band IX. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen. (9)

8 14. Die Regierungsverwesung. 109 
  
rufene muß seinerseits regierungsfähig sein.“) Anderenfalls geht die Berufung weiter 
nach den für die Thronfolge bestehenden Regeln. 
Ob die Voraussetzungen im Einzelfalle bestehen, darüber entscheidet ordentlicherweise 
niemand anderes als der berufene Agnat selbst. 
Für einen Fall hat jedoch die Verfassung besondere Vorschriften gegeben. Es ist der, 
wo sich bei dem Könige sollte „#in Hindernis zeigen, welches demselben 
die eigene Verwaltung des Landes unmöglich machen würde“ 
(Verf.-Urk. § 10 und & 11). Gemeint ist Regierungsuntauglichkeit wegen geistiger 
oder körperlicher Gebrechen.:1) 
Wenn sich ein solcher Zustand bei dem künftigen Thronfolger herausstellt, so soll noch 
unter der Regierung seines Vorgängers das Nötige angeordnet werden, damit die Re- 
gierungsverwesung alsbald Platz greife. Diese Anordnung soll geschehen „durch ein Staats- 
gesetz“, also mit Zustimmung der Stände. Dadurch kann nun die den Vorschriften der Ver- 
fassung entsprechende Regierungsverwesung angeordnet werden. Deshalb sind auch die 
Regeln für ein verfassungänderndes Gesetz dabei nicht zu beobachten.1) 
Ist das versäumt worden, oder zeigt sich ein solcher Zustand erst nach der Thronbe- 
steigung, so kann die Regierungsverwesung aus diesem Grunde nur eintreten nach Durch- 
führung eines umständlichen Verfahrens. Dem Gesamtministerium als der obersten 
Staatsbehörde ist es zur Pflicht gemacht, die Sache zu betreiben. Und zwar hat es das 
Verfahren einzuleiten „längstens binnen sechs Monaten“. Diese Frist kann immer erst 
von der Thronbesteigung ab zu laufen beginnen; dann aber beginnt sie mit dem Zeit- 
punkt, in welchem die Regierungsunfähigkeit zuerst erkennbar wurde. Das Verfahren 
wird eröffnet durch die Berufung eines Familienrates. Dieser besteht aus sämt- 
lichen landesanwesenden volljährigen Prinzen des königlichen Hauses. Der zur Re- 
gierungsverwesung berufene Agnat ist ausgeschlossen. Wenn diese Versammlung nicht 
mindestens drei Mitglieder zählen würde, so soll sie auf diese Zahl ergänzt werden durch 
Einladung regierender Häupter der Ernestinischen Linie. Die Reihenfolge der Einladung 
bestimmt sich bei diesen nach dem Lebensalter. Dem Familienrat wird ein Gutachten 
des Ministeriums vorgelegt, welches den Fall erörtert. Er beschließt mit absoluter Stimmen= 
mehrheit. Ist der Beschluß zugunsten des Eintritts einer Regierungsverwesung ausge- 
fallen, so muß er zunächst den Ständeni?) zur Genehmigung vorgelegt werden. Erst 
wenn diese Genehmigung erteilt ist, wird er vollziehbar. 
—.. 
  
.9) Die Verf.-Urk. &9 Abs. 2 spricht von dem nächsten „volljährigen“ Agnaten. Darunter 
muß verstanden sein die Volljährigkeit, welche genügt, um als König zu regieren, also das zurück- 
gelegte 18. Lebensjahr. Denn ordentlicherweise ist ja gerade der künftige Thronfolger berufen. 
Es wäre widersinnig, diesen wegen Jugendlichkeit von der immerhin beschränkteren Regierung 
für seinen Vorgänger auszuschließen, um ihm in gleichem Alter bei dessen Ableben sofort die volle 
königliche Regierung zuzugestehen. Die Frage ist streitig; vgl. v. Rönne-Zorn, Staats-R. 
der Preuß. Monarchie 1 S. 236 Note 1; G. Meyer-Anschütz, Deutsch. Staats-R. S. 282 
Note 30; Graßmann in Alch. f. öff. R., Bd. VI S. 499 f. 
10) Die Verf.-Urk. §10 spricht bei Bezeichnung der Voraussetzungen absichtlich nicht ganz 
deutlich. Die Vorlage gab die Württemb. Verf.-Urk. § 13, wo nur, bei honst gleichem Wortlaute, 
statt „ein Hindernis“ gesagt ist: „eine solche Geistes= oder körperliche Beschaffenheit“. Der Carlo- 
witzische Entwurf § 13 hatte dafür gesetzt: „ein physisches Hindernis“. In dem den Ständen nachher 
vorgelegten Regierungsentwurf § 9 ist dann „physisches“ gestrichen. Gemeint ist immer das gleiche. 
II) So Goez, Staats-R. d. Kgr. Württemb. S. 68, zu der entsprechenden Bestimmung 
der Württemb. Verf. 
12) Wenn sie zu diesem Zwecke besonders berufen werden mühssen, so geschieht das durch 
das Gesamtministerium: Opitz, Staats-R. 1 S. 147.
	        
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