Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band IX. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen. (9)

112 Zweiter Abschnitt: Der König und das Königliche Haus. 8 14. 
  
Jene Anordnungen haben den Zustand feststellen wollen, wie er war zur Zeit, 
als sie ergingen. Der Regierungsverweser kann sie nicht einfach rückgängig machen 
durch die Anerkennung, daß sie auf Irrtum beruhten. Wenn er dieser Meinung 
Raum geben will, so steht es ihm frei, zu veranlassen, daß das Verfahren eingeleitet wird, 
in welchem über derartige Zustände des Königs Beschluß zu fassen ist, daß also Familien- 
rat und Stände wieder mit der Sache befaßt werden nach Vorschrift von Verf.-Urk. § 11, 
nur in entgegengesetzter Richtung. Nur so kann eine Aufhebung der ursprünglichen An- 
ordnung erfolgen. 
Handelt es sich aber vielmehr darum, daß eine Anderung eingetreten sei, also 
eine ausreichende Besserung im Zustande des Königs, so hat für diesen Fall die ursprüng- 
liche Anordnung nichts bindend bestimmt. Es ist Tatfrage, ob er vorliegt. Ist der Re- 
gierungsverweser nach Pflicht und Gewissen überzeugt, daß das zu bejahen sei, so hat er 
dem König ohne weiteres die Regierung zu überlassen; entgegengesetzten Falles muß er 
die Stellung wahren. Hegt er Zweifel, so bedeutet das für ihn, daß er möglicherweise 
doch noch durch die ergangene und immer noch zutreffende Anordnung gebunden ist; die 
Lösung kann alsdann wieder nur gefunden werden durch Herbeiführung eines Familien- 
ratsbeschlusses, der, wenn er die Regierungsverwesung für beendigt erklären soll, wiederum 
der Genehmigung der Stände bedarf.1) 
Die Regierungsverwesung endigt auch dann, wenn der König stirbt oder — was 
ja auch hier denkbar wäre — die Krone niederlegt. Denn die Regierungsverwesung 
ist immer nur für die Person des bestimmten Königs eingerichtet. Sollte der Thron- 
folger wieder regierungsunfähig sein, so beginnt eine neue Regierungsverwesung. 
Es kann auch bei fortdauernder Regierungsverwesung ein Wechsel eintreten in der 
Person des Verwesers, sei es, daß dieser stirbt, sei es, daß er niederlegt. An seine Stelle 
wird alsdann berufen, wer nach der durch die Thronfolgeordnung bestimmten Reihenfolge 
der nächste ist. 
Es besteht die Streitfrage, ob der Regierungsverweser auch zurückzutreten habe, wenn 
ein dem Throne Näherstehender, der wegen Minderjährigkeit zunächst nicht zur Regierungs- 
der Rechtspunkt ganz außer Zweifel ist. König Ludwig II. von Bayern ist noch in trauriger Er- 
innerung. Das enthebt uns nicht der Notwendigkeit, daß wir möglichst genau festzustellen suchen, 
was im Geiste der Verfassung Rechtens ist. 
21) In ähnlicher Weise will Bornhak, Preuß. Staats-R. 1 S. 209 f., zwischen Fällen 
unterscheiden, in welchen der Grund der Regentschaft zweifellos weggefallen ist, und solchen, wo 
es erst noch einer Prüfung und eines Beschlusses bedarf. Er legt diehen Beschluß in die Hand des 
Regenten allein. Anders Hancke, Regentschaft S. 40, der immer einen Beschluß der Kammer 
verlangt; ebenso Graßmann, Wlch. f. öff. R. Bd. VI S. 513. Für Preußen steht aber die 
Sache insofern anders, als dort der Landtag in allen Fällen über die Notwendigkeit der Regentschaft 
zu beschließen hat: Preuß. Verf.-Urk. Art. 56. Die Sächsische Verf.-Urk. gehört mit der Bayrischen 
und Württembergischen zusammen, welche nur in außerordentlichen Fällen ein förmliches Ver- 
fahren verlangen, damit die Regentschaft eintrete. Hierfür stellt uun Seydel, Bayr. Staats- 
recht 1 S. 257, den Satz auf, der auf den ersten Blick einleuchtend ist: die Regentschaft ist immer 
in demselben Verfahren wieder aufzuheben, in welchem sie eingeführt wurde. Vgl. auch G. Meyer- 
Anschütz, Deutsch. Staats-R. S. 285. Allein dieser Grundsatz des römischen Privatrechts 
trifft hier nicht zu. Der Beschluß des Familienrates und des Landtags über den „Eintritt der 
Regierungsverwesung“ ist kein Entmündigungsbeschluß, der eine gewisse Rechtswirkung zu 
erzeugen bestimmt ist. Die Regentschaft tritt, wie Seydel mit Recht betont, kraft Geses 
ein (a. a. O. S. 225, 230). Wenn ein Verfahren und ein Beschluß dazu kommt, so geschicht es 
nur, um festzustellen, daß die Voraussetzungen für diese Wirkung des Gesetzes (der Verfassung) 
gegeben sind. Gegenüber neuen Wendungen, welche tatsächlich eintreten mögen, hat das keine 
formal bindende Kraft.
	        
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