817. Das geltende Wahlrecht. 131
I. Das Gesetz unterscheidet das Stimmrecht und die Wählbarkeit. Nur
jenes ist ein wirkliches subjektives öffentliches Recht: der Stimmberechtigte übt es aus
durch seine Teilnahme an der Wahl und sein Anspruch besteht darin, daß seine Stimme
gezählt werde bei der Bestimmung des Abgeordneten, welcher mitwirken soll bei Geltend-
machung der dem Volke zustehenden Anteilnahme an der Staatsgewalt. Die Wähl-
barkeit ist nichts als die rechtliche Fähigkeit, durch eine gehörige Wahl ausgestattet zu
werden mit diesem Mitwirkungsrechte.5)
1. Das Stimmrecht setzt voraus:
— Sachsische Staatsangehörigkeit, seit mindestens zwei Jahren erworben;
— Entrichtung einer direkten Staatssteuer in Sachsen;
— miännliches Geschlecht;
— vollendetes 25. Lebensjahr im Zeitpunkt des Abschlusses der Wählerliste;
— Wohnsitz im Orte der Listenaufstellung seit mindestens 6 Monaten.“)
2. Auch wo diese Voraussetzungen zutreffen, ist das Stimmrecht ausgeschlossen,
wenn und so lange die vom Gesetze vorgesehenen Unwürdigkeitsgründe vorliegen, näm-
lich:)
— Entmündigung;
— noch dauerndes Konkursverfahren;
— Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte oder der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher
Amter zu Folge Strafurteils;
— Voruntersuchung oder Eröffnung des Hauptverfahrens wegen einer Straftat, die
das noch nach sich ziehen kann, Untersuchungs= oder Strafhaft aus irgendwelchem Grunde
oder Einsperrung in Besserungs= oder Arbeitsanstalt;
— Stellung unter Polizeiaussicht;
— Rückständigkeit mit seit länger als ein Jahr fälligen direkten Staats= oder Gemeinde-
steuern;
5) Jellinek, Subj. öffentl. Rechte S. 136 ff.; Laband, Staats-R. 1 S. 307 ff.;
Otto Mayer, Deutsch. Verw.-R. I S. 114. — Wenn man von aktivem und passivem
WBahlrecht spricht, so ist das doch nur eine der beliebten Klangfiguren ohne ernsthaften Sinn.
6) Im wesentlichen sind hier die Bestimmungen des Ges. vom 3. Dez. 1868 wiedergegeben:
51, 18 in der Fassung des Ges. vom 28. März 1896 § 33. Neu ist das Erfordernis zweijährigen
Besitzes der Staatsangehörigkeit — bisher genügte Staatsangehörigkeit im Augenblick des Ab-
schlusses der Wählerliste. Die zwei Jahre, ebenso wie die sechs Monate für die Dauer des Wohn-
sitzes müssen am Tage des Abschlusses der Wählerliste erfüllt sein (Ausf.-Verord. & 2). Neu ist
hier auch die Forderung des „männlichen Geschlechts“. Bisher hatte man dieses nicht zu den Voraus-
setzungen des Stimmrechts gerechnet, sondern umgekehrt das weibliche Geschlecht als einen be-
sonderen Grund des Ausschlusses von dem an sich bestehenden Stimmrecht behandelt, neben dem.
Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, dem Konkurs, der Stellung unter Polizeiaussicht usw.;
vg. § 2a des Ges. vom 3. Dez. 1868 in der Fassung des A.-Ges. vom 27. März 1896.
7) Das Wahlges. vom 24. Sept. 1831, welches in seinem § 5 die „Allgemeinen Erfordernisse
zur Stimmberechtigung“ und die „Unfähigkeit dazu“ in einer Reihe von a—k aufzählte, ist, was
die Ausschlußgründe anlangt, jetzt noch wieder zu erkennen. Das Ges. vom 3. Dez. 1868 F 2 hatte
die Ausschlußgründe gesondert und genauer bestimmt. Das A.-Ges. vom 27. März 1897 bringt
sie in Einklang mit der Reichsgesetzgebung. Das Ges. vom 5. Mai 1909, § 10 hat von seinen neun
Rubriken (a—i) zwei gestrichen: „a) Frauenspersonen“ (vgl. oben Note 6 und unten §& 32 Note 15)
und „d) Personen, welche von öffentlichen Amtern fuspendiert worden sind . und die von öffent-
lichen Amtern oder der Rechtsanwaltschaft Entsetzten.“ — ÜUbrigens greift das Reichsrecht hier
noch insofern ein, als nach R.-Militärges. vom 2. Mai 1874 F 49 „für die zum aktiven Heere —
hörigen Militärpersonen, mit Ausnahme der Militärbeamten, die Berechtigung zum Wählen
.. in Betreff der einzelnen Landesvertretungen“ ruht. Opitz, Staats-R. II S. 54, geht zu
weit, wenn er das auf ihr passives Wahlrecht ausdehnt.
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