Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band IX. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen. (9)

140 Dritter Abschnitt: Der Landtag. 8 18. 
  
fügung, durch welche den derzeitigen Mitgliedern der zweiten Kammer die Abgeordneten- 
eigenschaft entzogen wird. Sie steht im freien Ermessen des Königs, der selbstverständlich 
dadurch, daß er von diesem Rechte Gebrauch macht, nicht befreit wird von den verfassungs- 
rechtlichen Notwendigkeiten der Zuziehung der Stände. 
Erfolgt die Auflösung, während der Landtag nicht beisammen, also geschlossen oder auch 
nur vertagt ist, so wird die königliche Auflösungsverfügung im Gesetz= und Verordnungs- 
blatte bekanntgegeben werden. Andernfalls ist die gegebene Form ein Dekret an die Stände. 
Die Auflösung hat ihre Spitze gegen die zweite Kammer. Für diese müssen nunmehr 
Neuwahlen vorgenommen werden. Die Verf.-Urk. & 116 Abs. 3 schreibt vor, daß diese 
Wahlen zeitig genug erfolgen, um die neue Einberufung der Stände binnen sechs Monaten 
von der Auflösung ab vorzunehmen. Auf die erste Kammer hat die Auflösung der zweiten 
nach § 116 Abs. 1 die Rückwirkung, daß dadurch „zugleich die erste für vertagt erklärt wird“. 
Dabei ist offenbar vorausgesetzt, daß der Landtag beisammen ist. Dann wird aber die Auf- 
lösung für die zweite Kammer die Wirkung haben, nicht einer Vertagung, sondern eines 
Schlusses. Denn die „Einberufung der Stände“, die nun binnen sechs Monaten erfolgen 
soll, bedeutet selbstverständlich nicht eine Fortsetzung des alten, sondern einen neuen Land- 
tag. Davon kann die erste Kammer nicht ausgenommen sein; in allen diesen Dingen 
gehen die beiden Kammern gleichen Schritt. Also muß es heißen, daß durch die Auflösung 
der zweiten Kammer zugleich die erste für geschlossen erklärt wird, wenn sie es nicht ohnehin 
schon ist. So ist es zweifellos gemeint.—10) 
II. Der Geschäftsgang des Landtages hat seine Regelung auf dreierlei Weise 
erhalten. 
Die Verfassungsurkunde gibt dafür eine Reihe von Bestimmungen in 
ihrem siebenten Abschnitt, & 115 ff., unter der Überschrift: „Landtag und Geschäftsbetrieb 
bei selbigem“. Sie beziehen sich wesentlich auf das Verhältnis der Kammern unterein- 
ander und zur Regierung. Was die Verfassungsurkunde so geordnet hat, ist selbstverständ- 
lich für die Stände undurchbrechbar. 
Die Verfassungsurkunde verweist am Schlusse dieses Abschnittes ( 137) auf die 
näheren Bestimmungen, welche die Landtagsordnung enthalten soll.11) Nach- 
10) In diesem Sinne auch Opitz, Staats-R. II S. 175; Fricker, Grundriß S. 142. 
— Die Bayrische Verf.-Urk. (Tit. VII 5 23),), wie die Württembergische (5 18686) unterscheiden, 
nachdem sie vorher von der Schließung oder Entlassung gesprochen haben, noch die Vertagung 
und die Auflösung der Ständeversammlung als ganzer. Dabei ist man aber einig, daß diese Auf- 
lösung für beide Kammern den Schluß bedeute und für die Mitglieder der zweiten überdies den 
Verlust der Abgeordneteneigenschaft (Seydel, Bayr. Staats-R. I S. 454, Goez, Staats- 
recht des Königr. Württemberg S. 138). Auch die Badische Verf.-Urk. F 42 stellt in solcher Weise 
Vertagung und Auflösung der Stände nebeneinander, um erst später (§68) von der Schließung 
zu sprechen. Diesen Vorbildern getreu sprechen auch die sächsischen Entwürfe, Carlowitz § 115 
und Lindenau §* 39, von Vertagung und Auflösung der Ständeversammlung im ganzen. Erst 
nach den Beratungen im Staatsrat erscheint in dem den Ständen vorgelegten Entwurf, 98 79, die 
jetzige Fassung. Man hat sich von der Terminologie der Vorbilder frei gemacht und die Auflösung 
ganz korrekt auf die zweite Kammer beschränkt. Nun mußte aber die Rückwirkung dieser Maß- 
regel auf die erste Kammer bestimmt werden; es lag nahe, sie mit dem stets mit der Auflösung 
zusammengestellten Ausdruck für den geringeren Eingriff, mit Vertagung, zu bezeichnen. Ge- 
wollt hat man nichts anderes, als was auch in den drei süddeutschen Staaten galt; es sollte nur besser 
gesagt werden. Und dabei ist ein Redaktionsversehen vorgekommen. Es wird statthaft sein, es 
zu verbessern. — A. M. Leuthold, Staats--R. d. Kgr. Sachsen S. 236. 
11) Die Volksvertretungen haben überall nach Einführung des konstitutionellen Systems 
danach gestrebt, ihren Geschäftsgang selbst zu ordnen. Die Frage war gerade, als die Sächsische 
Verfassung entstand, in Bayern in vollem Gang: Seydel, Bayr. Staats-R. 1 S. 455 ff. Auch
	        
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