Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band IX. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen. (9)

18. Die Versammlung des Landtages und sein Geschäftsgang. 149 
  
Nur die „gemeinsamen“ Wünsche und Anträge läßt die Verfassung hier zu. Es ist also, 
wie der Schlußsatz des 3 109 noch ausdrücklich hervorhebt, ÜUbereinstimmung beider Kam- 
mern notwendig. Ein Vereinigungsverfahren, um diese herbeizuführen, ist rechtlich nicht 
vorgesehen (vgl. oben Note 18). Dafür hat die gemeinsame ständische Schrift, welche 
dem Könige solche Anliegen vorträgt, die Rechtswirkung, daß ihr ein Bescheid 
zuteil werden muß (Verf.-Urk. § 111 letzter Satz, § 113). Das geschieht durch 
besonderes Dekret oder im Landtagsabschied, der einen besonderen Abschnitt dafür zu 
enthalten pflegt.2) 
Dieses Recht der Stände, dem Könige Wünsche und Anträge, insbesondere auch „auf 
Abstellung wahrgenommener Gebrechen in der Landesverwaltung oder Rechtspflege“" 
(Verf.-Urk. & 109 Abs. 1) vorzulegen, bezeichnet die Verf.-Urk. selbst als ihr „Petitions- 
recht“ und scheidet es von ihrem in §& 110 behandelten „Recht der Beschwerde“. In Wahr- 
heit umfaßt aber jenes Petitionsrecht auch die Beschwerde über Fehler und Mißbräuche 
aller Art. Der § 110 nimmt nur für sich besonders in Anspruch die Beschwerde mit persön- 
licher Spitze: nämlich wegen Pflicht widrigkeiten des Beamtentums.d) 
Der § 110 spricht von Beschwerden „über die Anwendung der Gesetze in der Landes- 
verwaltung und Rechtspflege“. Die Stände haben seinerzeit diesen Ausdruck hineinge- 
bracht. Der Entwurf lautete viel allgemeiner. Eine Verengerung des Beschwerderechts 
gegen die Beamten war damit sicher nicht beabsichtigt.) 
Es kommen in erster Linie in Betracht Pflichtwidrigkeiten der Minister (in ihrer Ge- 
samtheit oder einzelner), sei es, daß sie bei Führung der ihnen selbst zustehenden Verwaltung 
begangen wird, sei es, daß sie zu finden ist in der Leistung der Gegenzeichung zu einer An- 
ordnung des Königs, zu der sie nicht hätte gegeben werden sollen.5) 
Sodann können es sein Pflichtwidrigkeiten der den Ministern unterstehenden Beamten. 
Die Verf.-Urk. §& 110 Abs. 3 macht aber hier zweierlei Einschränkungen. Es muß sich um 
„unerlaubte Handlungen oder grobe Vernachlässigungen“ handeln; also nicht jedes Ver- 
schulden genügt.26) Und überdies, wenn jemand dadurch benachteiligt worden ist, muß 
22) In diesem Recht auf Bescheid besteht das Petitionsrecht der Stände. Eingaben an den 
König kann jeder machen; auch die einzelne Kammer für sich könnte das tun, wie das z. B. in 
Bayern gebräuchlich geworden ist. Aber „in solchen Fällen besteht auch kein Anspruch auf Er- 
teilung eines Bescheides“; Seydel, Bayr. Staats-R. 1 S. 363. 
23) Der Regierungsentwurf hatte in §& 124 (jetzt 109) nur von „Wünschen und Anträgen“ 
gesprochen (Petitionsrecht), in 3 125 (jetzt 110) von Beschwerden über 'wahrgenommene Gebrechen- 
und „gegen die Behörden“. Die Stände bemerkten dazu: die Beschwerde über Gebrechen solle 
besser zu den Wünschen und Anträgen gestellt werden, als die nur von beiden Kammern gemein- 
schaftlich vorzubringen wären, dahingegen die Beschwerden gegen die Behörden jeder Kammer für 
sich zustehen sollten. (Landt.-Akten 1831 Bd. 4 S. 1801). Das gab einen neuen Ausscheidungs- 
maßstab, der dann auch zur Annahme gelangt ist. 
24) Der Zusatz wurde gemacht gelegentlich des in voriger Note erwähnten Abänderungs- 
antrages. Dadurch, daß man die „Gebrechen“ in den vorausgehenden Paragraphen warf, ent- 
stand das Bedürfnis, hier noch einmal den Ton besonders anzuschlagen, daß etwas nicht in Ordnung 
sein müsse, weshalb man sich gegen die Behörden beschwerte. Diesem Zweck diente der ungenaue 
Zusatz. — Wie oben: Opitz, Staats-R. II S. 165; Fricker, Grundriß S. 248, 249. 
25) Wenn §&* 110 Abs. 2 darauf verweist, daß „zur Begründung solcher Beschwerden“ in & 43 
die Gegenzeichnung der Minister für alle Staatsakte des Königs angeordnet sei, so ist das eigentlich 
überflüssig. Aber der Regierungsentwurf enthielt keine dem § 43 entsprechende Bestimmung, son- 
dern verordnete die Gegenzeichnung erst in §J 125 Abs. 2 (ietzt § 110 Abs. 2). Was jetzt hier 
steht, ist nur der verkürzte Rest dieser nach Einfügung des § 43 zwecklos gewordenen Bestimmung. 
26) Die Ausdrucksweise ist nicht glücklich. Grobe Vernachlässigungen sind natürlich auch 
unerlaubte Handlungen. Man wollte sagen: dolus und culpa lata, das nämliche, was nachher 
das B. G. B. von 1863 ausdrückt mit „absichtliche Verschuldung oder grobe Fahrlässigkeit“ (6 1506).
	        
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