6 Geschichtliche Einleitung. 83.
größere Hälfte fiel Preußen zu; der Rest ward dem König zurückgegeben. Der Kurkreis, der
thüringische und der neustädtische gingen ganz, der leipziger und meißnische zum Teil verloren;
von allen nicht inkorporierten Ländern verblieb nur die Hälfte der Oberlausitz.
Seitdem sind keine Gebietsveränderungen mehr vorgekommen. Die sächsische Staatsrechts-
geschichte hat nur noch zu melden von dem Ausbau der inneren Ordnung des Landes und von seiner
Einfügung in den Rechtsverband des neuen Deutschlands. —
In den größeren deutschen Ländern war man schon zur Zeit des alten deutschen Reichs darauf
aus gewesen, die ständischen Einrichtungen lahm zu legen und beiseite zu schieben; Preußen
und Bayern gaben hier die Vorbilder. Und als nun der Rheinbund gestiftet war, legten
die süddeutschen Rheinbundsfürsten die ihnen zuerkannte Souveränität gerne so aus, als
wenn es ihnen nun von Bundes wegen verboten wäre, sich durch Stände ernstlich beschränken
zu lassen.
Nichts von alledem in Sachsen. Treu und gewissenhaft wurden von dem Fürstentum die über-
kommenen Einrichtungen gewahrt, ohne die geringste Anwandlung zu Neuerungsversuchen im
Sinne moderner Staatsauffassung.!) Die Annahme des Königstitels änderte gar nichts und der
große Gebietsverlust von 1815 hatte lediglich zur Folge, daß die den abgetretenen Gebieten ent-
stammenden Stände fortan wegfielen. Der Rest blieb unbeirrt in Wirksamkeit für das verkleinerte
Gebiet mit der alten Rechtsstellung und mit den alten Befugnissen. Und als nun 1831 die Zeit
kam, daß die neuartige Verfassung angenommen werden sollte, da wurde alles sachte und schonend
übergeleitet und bedeutsame Stücke des alten, an der Form wie am Ideengehalt erkennbar, wurden
in den neuen Rechtszustand mit hereingetragen.
Deshalb ist es notwendig, sich den Bestand des altstän dischen Wesens, wie es
zur Zeit der Verfassungsausarbeitung war, zu vergegenwärtigen.)
Die erbländischen Landstände zerfielen in drei Klassen: Prälaten, Grafen und Herrn bildeten
die erste, aus der Ritterschaft bestand die zweite, aus den Städten die dritte Klasse.
In der ersten Klasse war die Gruppe der Prälaten schon durch die Reformation stark
vermindert worden; seit 1815 bestand hier noch die Landstandschaft des evangelisch gewordenen
Hochstifts Meißen, dazu die Universität Leipzig, deren Zugehörigkeit zum Prälatenstande durch
ein Dekret vom 13. April 1666 ausdrücklich anerkannt worden war. An Grafen und Herren fanden
sich in dieser Klasse nur das Haus Schönburg und das Haus Solms-Wildenfels.
Die Ritterschaft bestand aus den Besitzern von Rittergütern, und zwar wurden schrift-
sässige und amtsässige Rittergüter unterschieden. Amtsassen sind die den landesherrlichen Amtern
unterstellten, Schriftsassen, die davon befreit, unmittelbar mit der Regierung zu tun haben („die
auf Kanzleischrift sitzen“). Die adligen Schriftsassen haben persönlich Sitz und Stimme im Land-
tag, die Amtsassen werden vertreten durch gewählte adlige Rittergutsbesitzer. Innerhalb der
Klasse selbst bestehen wieder Wertverschiedenheiten, die zum Ausdruck gebracht sind durch die Einteilung
der Ritterschaft in drei gesondert beratende und beschließende Kollegien: der engere Ausschuß,
der weitere Ausschuß und die allgemeine Ritterschaft.
Die Städte erscheinen auf dem Landtage, soweit sie hergebrachter Weise Sitz und Stimm-
recht haben. Sie werden vertreten durch Abgeordnete ihrer Stadträte. Nach ihrer Bedeutung
sind sie wieder eingeteilt in drei gesonderte Kollegien: engerer Ausschuß, weiterer Ausschuß, all-
gemeine Städte.
Neben den erbländischen Ständen gab es aber noch Stände der Oberlausitz, des ein-
zigen nicht inkorporierten Landesteils, der übrig geblieben war. Diese zerfielen in zwei Klassen:
die Landschaft, bestehend aus dem Domstift St. Petri zu Bautzen und zwei Klöstern, sowie aus den
Standesherrschaften Königsbrück und Reibersdorf, und der Ritterschaft; und daneben die landtags-
fähigen Städte als zweite Klasse, bestehend aus dem Reste der alten „Sechsstädte“, jetzt nur noch
vier: Bautzen, Zittau, Camenz und Löbau.
Seit 1820 hatte man die oberlausitzer Stände mit den erbländischen vereinigt und sie dort
eingefügt in die entsprechenden Klassen. Es war aber nicht die Meinung, daß damit die Sonder-
1) Den Ständen kam der Unterschied gar wohl zum Bewußtsein. WIn einer ständischen Schrift
vom 27. August 1807 sprachen sie dem König ihren besonderen Dank aus für die Überzeugung, „daß
die aus der Auflösung des Reichsverbandes hervorgegangene Souveränetät deutscher Staaten
mit der Erhaltung der auf Grundverträgen zwischen Herrn und Land beruhende Territorialver=
fassung nicht nur vereinbar, sondern im hohen Grade rechtmäßig sei“. v. Witzleben, die Ent-
stehung der konstitutionellen Verfassung des Königreichs Sachsen S. 96.
2) Vgl. zu dem Folgenden vor allem: v. Römer, Staatsrecht und Statistik, Bd. III. Ein
guter Abriß bei v. Witzleben, Entstehung der konstitutionellen Verfassung S. 17—103.