g 20. Gesetzgebung und Bewilligung. 157
nannt wird. Das ist überall so gegangen, auch in Sachsen. Nur ist für das sächsische Recht
zu bemerken, daß man hier, zum Unterschied vom preußischen und Reichsrecht, von An-
fang an bedacht war, die Form des verfassungsmäßigen Gesetzes tunlichst nur für den
Zweck zu verwenden, den der ursprüngliche Sinn dieses Wortes bezeichnet. Nach sächsischem
Rechte, wenn, ohne daß Rechtssätze erlassen werden sollen, aus sonst einem Grunde die Zu-
stimmung der Stände nötig wird, erhält der Vorgang andere Gestalt und anderen Namen.-)
Nach dem Begriffe, welchen die Verfassungsurkunde im sächsischen Rechte vorfand
und mit dem sie arbeitet, bedeutet Gesetz eine allgemeine Vorschrift, zu
deren Beobachtung die Untertanen vermöge einer von der
Staatsgewalt (dem Landesherrn) geschehenen Willenserklä-
rungrechtlich verpflichtet sind.) Ob ein solches Gesetz im Einzelfalle vor-
liegt, das ist eine Frage der rechtsverständigen Prüfung. Die amtliche Sprache bedient
sich, vor der Verfassung, des Ausdruckes nicht, um die betreffenden obrigkeitlichen Akte
förmlich zu unterscheiden. Natürlich muß die Vorschrift, die auf die Untertanen wirken
will, gehörig veröffentlicht werden, und dabei bezeichnet sich das Schriftstück, das sie ent-
hält, mit irgendeinem angemessenen Namen, nach dem Anlaß, aus dem es ergeht, nach
seiner Bestimmung, bekannt gemacht zu werden, nach der allgemeinen Natur seines In-
halts. So finden wir Anfang des 19. Jahrhunderts die Bezeichnungen: Restript, Re-
stripts-Extrakt, Deklaration, Regulativ, Verordnung, Anschlag, Avertissement, Ankün-
digung, Publikandum, Mandat, Dekret, Patent, Befehl, Statut usw. In all diesen Dingen
sind Gesetze enthalten.
Unterm 9. März 1818 war das Mandat, die Bekanntmachung und Sammlung der
Gesetze betr., erschienen, die „Gesetzsammlung für das Königreich Sachsen“ war begründet
worden. Was darin erschien, führte aber immer noch jene alten Namen. Die Bezeich-
nung Gesetz für das ganze Aktenstück wurde immer noch nicht gebräuchlich. Gesetze, d. h.
Vorschriften, nach welchen die Untertanen sich zu richten haben, sollten immer in diesen
Akten enthalten sein, sonst hätte man sie nicht in die Gesetzsammlung gebracht. Aber wie-
weit das der Fall war, das war eben Sache der rechtsverständigen Auslegung.)
Mit der Verfassung von 1831 vollzieht sich der große Umschwung in der Rechtssprache.
Dazwischen erscheint wohl auch jetzt in der Gesetzsammlung noch eine „Bekanntmachung“
oder „Ordre“. In der Hauptsache sind es nur noch „Gesetze“ oder „Verordnungen“.ö)
3) Um mit der beliebt gewordenen Lehre zu reden, müßten wir also sagen: in Sachsen will
jedes Gesetz im formellen Sinne zugleich Gesetz im materiellen Sinne sein. Die Unterscheidun
selbst, für welche Laband, Staats-R. II S. 1 ff., so erfolgreich eingetreten ist, ist theoretif
unabweisbar und für Preußen und das Reich auch praktisch bedeutsam. Für das sächsische Recht
tritt sie, wie wir noch genauer zeigen werden, stark in den Hintergrund.
4) So K. S. Zacharige in den von ihm herausgegebenen „Annalen der Gesetzgebung
und der Rechtswissenschaft in den Ländern des Churfürsten von Sachsen“ Bd. I (1806) S. 104.
VBgl. v. Römer, Staats-R. u. Statistik II S. 336; Weiße, Staats-R. II S. 5 ff.; Hau-
bold, Lehrb. d. Sächs. Priv.-R. (1820) S. 29: „alle Vorschriften, zu deren Beobachtung die
Untertanen vermöge einer vom Landesherrn geschehenen Willenserklärung verpflichtet sind“.
So auch noch 1838 Grünler, Beiträge zur Staatslehre S. 57.
5) So viel ich sehe, hat der erste Akt in der Gesetzsammlung, der sich selbst als Gesetz bezeichnet,
die Ordnung akademischen Sonderrechtes zum Gegenstand: mit Reskript vom 29. März 1822
werden dort bekannt gemacht: „Gesetze für die Studierenden auf der Universität Leipzig.“
Im übrigen scheint man es als eine Doktorfrage zu behandeln, ob und wie weit ein Mandat, Reskript
usw. den Namen Gesetz verdient.
6) Die neue Ausdrucksweise wurde in aller Form eingeführt durch die „Bekanntmachung,
die zukünftige äußere Form der Gesetzsammlung und die darin aufzunehmenden Anordnungen