158 Vierter Abschnitt: Zusammenwirken von Regierung und Volksvertretung. 8 20.
Gesetz ist jetzte in Erlaßdes Königs, dermitZustimmungderStände
allgemeine Vorschriften geben will mit rechtsverbindlicher
Kraft für die Untertanen.
Für das Zustandekommen eines solchen Aktes und namentlich die Einholung
der ständischen Zustimmung ist ein gewisses Verfahren zu beobachten; das ist der
Weg der Gesetzgebung. Daß dieses Verfahren beobachtet ist, bezeugt der Akt,
indem er sich Gesetz nennt und insbesondere auf die Zustimmung der Stände sich aus-
drücklich beruft.
Das Gesetz ist eine Willenserklärung des Königs. Es kann zum Inhalt und zur
Wirkung haben alles, was Inhalt und Wirkung einer Willenserklärung des Königs
sein kann. Es soll aber wesentlich dazu dienen, die verfassungsmäßig an die Zustimmung
der Stände gebundenen Vorschriften an die Untertanen zu erlassen. Daß es solche zu
geben bestimmt und zu geben fähig ist, bezeugt es durch den Namen Gesetz, den es sich
beilegt, und durch die Berufung auf die für ein solches verfassungsmäßig geforderte Zu-
stimmung der Stände. Die Vorschriften an die Untertanen, von welchen hier die Rede ist,
bedeuten Rechtssätze. Es brauchen nicht eigentliche Befehle, Auflagen, Beschrän-
kungen, Androhungen zu sein. Rechtssatz ist alles, was in Form einer allgemeinen
Regel rechtlich bestimmend wirken soll auf jeden, den es angeht.7) Solche Rechtssätze zu
bringen, ist also die Aufgabe des verfassungsmäßig erlassenen Gesetzes. Sein ganzer In-
halt hat die Vermutung für sich, Rechtssatznatur zu tragen. Nur die Vermutung. Ganz
wie die alten Mandate, Generalien und Reskripte kann es neben den Rechtssätzen, den
eigentlichen Gesetzen, um deren willen es da ist und seinen Namen führt, auch noch allerlei
andere Willens= und Meinungsäußerungen enthalten, Dienstanweisungen, Wünsche,
Ratschläge, wissenschaftliche Ausführungen, wie etwa der Gedankenzusammenhang eines
solchen Erlasses das mit sich bringen mag.)
Das verfassungsmäßige Gesetz ist nicht bloß bei seinem Zustandekommen bedingt durch
die Zustimmung der Stände, sondern es ist auch, einmal erlassen, diesen gegenüber ge-
bunden derart, daß es ohne ihre Zustimmung nicht „abgeändert oder authentisch inter-
pretiert werden kann“ (Verf.-Urk. 3 86). Diese Gebundenheit erstreckt sich auf das ganze
überkommene ältere Landesrecht, Gewohnheitsrecht und landesherrliche Erlasse
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und Verfügungen betr.“ vom 28. Dez. 1831. Es wird für gut befunden, „nur diejenigen Gesetzes-
vorschriften, welche . mit Bezug auf die erfolgte Zustimmung künftiger Ständeversammlungen
bekannt zu machen sind, mit der Bezeichnung „Gesetze“ aufnehmen, alle anderen . allgemeinen
Anordnungen und Verfügungen hingegen mit dem Namen „Verordnung bezeichnen zu lassen."“
Wenn hier gesagt wird, daß fortan nur eine gewisse, durch ihre Entstehungsart gekennzeichnete
Art von „Gesetzesvorschriften“ unter dem Namen „Gesetze“ gehen soll, so spricht daraus deutlich
das Bewußtsein des Überganges aus der alten in eine neue Auffassung des Gesetzes.
7) Der Leipziger Ordinarius Günther, Betrachtungen über das Gesetz im Staate S. 2
(1842), meint in diesem Sinne: „Das Gesetz im Staate . soll eigentlich den Ausdruck einer Not-
wendigkeit . . enthalten. Indessen gibt man den Namen eines Gesetzes nicht selten allen und
jeden durch die verfassungsmäßigen Organe gegebenen Erklärungen des Staates, welche sich
auf seine Angehörigen beziehen.“
8) Zu dem Gesetze vom 22. Okt. 1840, Armen-Ordnung für das Königreich Sachsen, wurde
unter dem gleichen Tage eine Ausführungsverordnung des Ministeriums im Ges.= u. Verord.-Bl.
veröffentlicht, welche beginnt: „Die unter heutigem Dato publizierte Armenordnung enthält teils
gesetzliche Vorschriften, welche in jedem vorkommenden darunter gehörigen Falle Anwendung
leiden, teils administrative Anordnungen und Anweisungen für die Behörden über zweckmäßige
Verwaltung des Armenwesens, deren Anwendbarkeit im einzelnen nach Maßgabe des damit
beabsichtigten Zweckes durch die Bedürfnisse und die Beschaffenheit der Umstände bedingt wird.“