83. Verfassungsausbildung. 7
stellung der Oberlausitz von selbst und in jeder Beziehung aufhören sollte; das zeigte sich alsbald bei
der Art, wie die neue Verfassung ins Werk gesetzt wurde.
Der Landtag trat zusammen auf königliche Berufung. Sein Verfahren war äußerst schwer-
fällig. Von Mündlichkeit und Offentlichkeit und gemeinsamer Verhandlung keine Rede. Jedes der
drei Kollegien der II. Klasse und ebenso der III. Klasse hat ein eigenes Beratungszimmer oder
wenigstens im gemeinsamen Zimmer eine „abgesonderte Tafel“; untereinander verkehren sie schrift-
lich, es wird „kommuniziert“ und „rekommuniziert“, bis man sich geeinigt hat oder klar wird, daß
man sich nicht einigen kann. Die I. Klasse, innerhalb deren auch wieder Sonderungen stattfinden,
nimmt nur ausnahmsweise an diesen „Kommunikationen“ teil und pflegt einzig darauf zu achten,
daß ihre Interessen nicht berührt werden.
Die Grundlage der Verhandlungen bildet die landesherrliche Proposition, eine vom
König unterzeichnete Urkunde, welche eine Auseinandersetzung der Lage gibt und die erforder-
lichen Steuern bezeichnet. Der Landtag antwortet zunächst mit einer Präliminarschrift,
in welcher namentlich die „Landesgebrechen“ hervorgehoben werden. Dann kommt die Be-
willigungsschrift, die Antwort auf die Steuerforderungen. Beide werden mit besonderer
Feierlichkeit überreicht. Dazwischen äußert sich der Landtag noch über allerlei sonstige Angelegen-
heiten, namentlich aus Anlaß eingebrachter Beschwerden (Interzessionalien).
In dem Steuerbewilligungsrecht liegt die Macht der Stände und nur darin.
Ein Budgetrecht besteht nicht; es wird ihnen kein umfassender Staatshaushaltsplan vorgelegt.
Die Gesetzgebung liegt rechtlich unbeschränkt in der Hand des Königs; es ist lediglich Zweck-
mäßigkeitssache, wenn man Gesetzentwürfe dem Landtage mitteilt und sie von ihm durchberaten
und genehmigen läßt; sie erhalten dadurch keine besondere Kraft.
Beides wurde von der Zeitströmung als Mangel angesehen und der große Eindruck, welchen
die süddeutschen Kammerverhandlungen machten, ließ auch die Verhandlungsformen des Landtags
als einer Volksvertretung nicht mehr angemessen erscheinen.
Das wären immerhin nur Außerlichkeiten, Zweckmäßigkeitsfragen gewesen. Wichtiger war, daß
diese alten Stände eine Volksvertretung im Sinne der neuen staatsrechtlichen Anschauungen gar
nicht sein sollten. Ihre ganze Machtstellung stammte aus einer anderen Gedankenwelt: aus dem
unfertigen Staate. Das aufstrebende Fürstentum sah sich untergeordneten Machthabern gleicher
Art gegenüber, die es zusammenrufen mußte, um etwas durchzusetzen, und die zusammenhielten,
damit ihnen nicht zuviel zugemutet wurde. Ist das Reich gar bald kein lebenskräftiger Staat mehr,
so ist das Territorium noch keiner. Die Stände und der Fürst stehen darin zueinander wie Macht
zu Macht. Auf dem bedeutsamen Landtage zu Leipzig 1438 hatten jene das Recht ertrotzt, sich
ungerufen versammeln zu dürfen, wenn der Fürst „eine Neuigkeit machen sollte“. Dieses Selbst-
versammlungsrecht ist immer ihre Forderung: das Recht des bewaffneten Widerstandes steht
dahinter. Bis in das 17. Jahrhundert weigerten sich die sächsischen Stände, ihre Versammlungen
in der Residenz des Fürsten oder in einer seiner Festungen zu halten! Ihre Bewilligungen sind
ursprünglich eigene Leistungen, wofür sie sich an ihren „Untertanen“ erholen; als sie dann Steuern
bewilligen, die von ihren wie des Fürsten Untertanen unmittelbar erhoben werden, fließen diese
Steuern in eine unter ihrer Verwaltung stehende Kasse, die Obersteuerkasse, auch Landessteuer-
kasse, allgemeiner Landesschatz genannt, im Gegensatz zur fürstlichen Hauptkasse, an welche daraus
die vereinbarten Beträge abgeführt werden. Die Stände besitzen auch seit 1775 ein eigenes Ver-
sammlungsgebäude in Dresden, das Landhaus, das nicht dem Fürsten, nicht dem Staate gehört
— den letzteren denkt man sich überhaupt noch nicht als Rechtspersönlichkeit.
Gerade weil die alles beherrschende Idee des Staates fehlte, war das altständische Wesen
möglich geworden. Die Ordnung der Beziehungen zwischen dem Fürsten und seinen Ständen
vollzieht sich deshalb auch ganz naturgemäß in der allgemein gültigen Form für gleichartige Par-
teien: in der Form des Vertrages. Zahlreich sind im Laufe der Geschichte die vertragsmäßigen
Zusicherungen, Reverse, Reversalien, die namentlich von seiten des Fürsten den Ständen, manch-
mal auch umgekehrt, gegeben werden. Die ganze bestehende Staatsordnung wird ja als ein ver-
tragsmäßiges Verhältnis zwischen ihnen aufgefaßt.5)
Das stimmte nicht mehr mit den Forderungen der Zeit. Eigenartig ist aber die Selbstverständ-
lichkeit, mit der hier die ausgeprägten Formen des alten Rechts zur Anerkennung und Verwendung
kommen, damit das neue entstehe.
Es hat auch keines besonders starken äußeren Anstoßes bedurft, um den Umschwung herbei-
zuführen. Die französische Julirevolution hatte allenthalben in Deutschland eine gewisse Auf-
regung hervorgerufen. In Sachsen traf das zusammen mit der Mißstimmung, welche die Behörden
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3) Bgl. die oben Note 1 angeführte ständische Schrift von 1807. "