g 21. Das Gesetzgebungsverfahren. 169
tanen vermöge einer von der Staatsgewalt geschehenen Willenserklärung rechtlich ver—
pflichtet sind“ (vgl. oben § 20 Note 4), so ist der Erlaß des Gesetzes eben diese Wil-
lenserklärung, welche die wirkungskräftige Vorschrift ent-
hält. Der König ist es, der diese Willenserklärung abgibt, und er tut es, indem er sich
auf die gewonnene Zustimmung der Stände beruft.
Für die Mehrzahl unserer deutschen Verfassungen hat das vorausgehende Hin und Her
der oft so schwierigen Verhandlungen zwischen Regierung und Volksvertretung in allem
übrigen nur tatsächliche Bedeutung. Wichtig durch Rechtswirksamkeit ist allein der Be-
schluß der Volksvertretung, durch welche sie der Regierung ihre vorbehaltslose Zustimmung
zu einem Gesetze bestimmten Inhalts darbringt: sie eröffnet damit der Regierung die ver-
fassungsrechtliche Möglichkeit zum Erlaß des entsprechenden Gesetzes, von der sie nach Be-
lieben und zu beliebiger Zeit Gebrauch macht oder nicht.1) Das sächsische Recht läßt
aber auf dem Wege zum Erlaß des Gesetzes schon gewisse rechtliche Wirkungen eintreten,
die dazu dienen, das Zustandekommen des Gesetzes zu sichern. Sie knüpfen sich vor allem
an förmliche Erklärungen, welche zwischen dem König und den Ständen
gewechselt werden. Und ihre rechtliche Wirkung ist eine innere: verfassungsrechtliche
Beezug haben, bedürfen, um wirksam zu werden, der ausdrück-
luchen Sanktion des Königs.“ Sanktion des Gesetzes und Erlaß des Gesetzes be-
denten in der Verf.-Urk. das gleiche. Die Ausdrücke Sanktion, sanktionieren sind aber sonst nicht
üblich.
Die Charte constitutionnelle von 1814 hat, wie auch in anderem, für die Bestimmungen über
den Erlaß des Gesetzes den deutschen Verfassungen das Vorbild geliefert. Sie sagt in Art. 22;: „Ie Roi
seul Sanctionne et promulgueles lois“. Bayr. Verf. Tit. VII 38 30; „der König allein
sanktionirt die Gesetze und erläßt dieselben mit seiner Unterschrift und Anführung
der Zustimmung der Stände“: Württemb. Verf. & 172• „Der König allein sanktionirt
und verkündet die Gesetze unter Anführung der Zustimmung der Stände“; Bad.
Verf. § 66: Der Großherzog bestätigt und promulgirt die Gesetze“. Die Sächs.
Verf.-Urk. & 87 mit ihrem „erläßt und promulgir'“s' schließt sich, wie der weitere Wort-
laut des §87 und § 88 unzweideutig erkennen läßt, zunächst an die Bad. Verf. §66 an und mit dieser
dann an die Charte. „Sanctionne“, „bestätigt“, „erläßt" stehen als gleichbedeutend in den drei Verf.=
Urk. dem „Promulgieren" gegenüber.
12) Diese ungleiche Bewertung des beiderseitigen Anteils an der Schaffung des Gesetzes
wird in allen monarchischen Staaten planmäßig zum Ausdruck gebracht, selbst da, wo der Wort-
laut der Verfassung auf eine Art Gemeinschaft am Werke hinweisen könnte. Das Wort sanctio
bedeutet in der römischen Rechtssprache ursprünglich den Teil des Gesetzes, der seine „Weihe“,
seine Schärfe enthält, die Strafdrohung (§ 11 Just. II, I Mommsen, Röm. Strafrecht S. 882,
S. 901 Note 5). In byzantinischer Zeit versteht man darunter eine mit besondrer Feierlichkeit
ausgefertigte kaiserliche Verfügung (Mommsen in Ztschft. der Savigny-Stiftung Bd. 25
S. ölff.). Unser Verfassungsrecht hat das Wort Sanktion aus dem Französischen übernommen;
dort ist saanction = approbation, Genehmigung, und: le Roi sanctionne la loi heißt, daß der König
dem Gesetzentwurf die entscheidende Zustimmung gibt. Die Theorie stellt die sanction als vote
(Abstimmung) des Staatsoberhauptes dem vote der Kammern gegenüber, und erklärt sie mit
„aclhésion“, Anschluß des Staatsoberhauptes an das von den Kammern Angenommene. (De-
molombe, Cours de code Nap. Bd. I Nr. 25; Aubryhu. Rau, Droit civil Franç. 1 926
Note 8). Gleichwohl wird streng darauf gehalten, die Einseitigkeit des königlichen oder kaiserlichen
Willensaktes zu wahren, der das Gesetz schafft. „Le Roi seul sanctionne“, sagt die Charte von 1814
mit fast überflüssiger Betonung. Und unsere deutschen „Sanktionen“ rücken in gleicher Weise mög-
lichtt weit von der zustimmenden Volksvertretung ab. Nicht einmal eine Benachrichtigung gönnt
man dieser, ob sanktioniert wird oder nicht; wenn ja, so kann sie es aus dem Gesetzblatt seiner Zeit
ersehen, wie andre Leute. Der byzantinische Sinn von „Sanktion“ überwiegt in dieser Wirklich-
keit. Vgl. dazu Haenel, Studien II S. 149 f. Daß, wie er will, für Preußen ausnahmsweise
eine „Gemeinschaft der Gesetzgebung“ stattfinde, würde allerdings zu dem Wortlaut der Preuß.
Verf.-Urk. Art. 62 stimmen; tatsächlich „sanktioniert“ aber doch der König von Preußen geradeso
wie die anderen Fürsten. — Auch Sachsen weicht darin nicht ab; der Unterschied liegt lediglich in
der rechtlichen Gestaltung dessen, was der Sanktion, dem Erlaß des Gesetzes vorausgeht; es kam
darauf an, diesen Punkt recht deutlich zu machen.