170 Vierter Abschnitt: Zusammenwirken von Regierung und Volksvertretung. g 21.
Gebundenheiten in bezug auf das zu erlassende Gesetz entstehen, des Königs gegenüber
den Ständen, der Stände gegenüber dem König.13)
Der Gesichtspunkt, unter welchem die Sache dabei behandelt wird, ist der altherge-
brachte des Vertrages, der Vereinbarung zwischen Landesherr und Ständen.
Der eine Teil macht dem andern den Antrag dazu im Gesetzesvorschlag. Für die An-
13) Auch wo keine besonderen Verfassungsbestimmungen zu Hilfe kommen, wäre es unter
Umständen denkbar, daß man aus Erklärungen und Zusagen, die in den Verhandlungen abgegeben
werden, rechtliche Verpflichtungen entstehen ließe. Die Sache ist nur die, daß auderwärts in der Wirk-
lichkeit geflissentlich alles vermiedeen wird, woran sich eine solche Annahme knüpfenließe. Das Bayrische
Verfassungsrecht gibt hier ein lehrreiches Beispiel. Dyroff, Rechtssatzung und Gesetz S. 47 ff.,
hat unter der Uberschrift: Willensänderung des Königs während des Gesetzgebungsverfahrens,
in, wie mir scheint, sehr einleuchtender Weise ausgeführt, daß der König, wenn er dem Landtag
seinen „Entschluß“ mitteilt, das vom Landtag gebilligte Gesetz zu erlassen, dadurch eine „staats-
rechtliche Verpflichtung“ übernehme, „bei seiner Entschließung stehen zu bleiben und daraus die
Konsequenzen für sein Handeln zu ziehen“ (S. 50). Man möchte das als die naturgegebene Rechts-
anschauung bezeichnen. Nun scheint hier das Bayr. Ges. vom 19. Jan. 1872, den Geschäftsgang des
Landtags betr., in §40 noch weiter zu Hilfe zu kommen, indem es vorschreibt: „Der König erkeilt oder
verweigert den Gesetzentwürfen, welche die Zustimmung beider Kammern erhalten haben, seine
Sanktion . spätestens beim Schlusse der Versammlung im Landtagsabschiede.“ Allein diese
Bestimmung legt nur fest, was bisher schon Brauch war und eine eigentümliche Vermengung
der altständischen bindenden Verbescheidung des Landtages mit dem jeder Verpflichtungsüber-
nahme abholden souveränen Sanktionsbegriff vorstellt: der König gibt den Bescheid, indem er in der
Urkunde des Landtagsabschiedes die Sanktion vollzieht; eine Gebundenheit zur Sanktion kommt
auf solche Weise nie zum Vorschein, denn was Gegenstand der Verpflichtung sein könnte, wird
sofort erfüllt. Da der Landtagsabschied auch in Bayern im Ges.= u. Verord.-Bl. veröffentlicht
wird, ist für das in ihm sanktionierte Gesetz gar nichts weiter zu tun. Vgl. Landtagsabsch vom
29. Dez. 1831, Verh. d. Kammer der Reichsräte Bd. XIII S. 194: „In bezug auf die damit
verbundenen Anträge der Stände wollen Wir genehmigen und hiermit gesetzlich aussprechen,
daß usw.“ Noch deutlicher das von Dyroff, a. a. O. S. 30, angeführte Beispiel: „Dem Ent-
wurfe . . erteilen Wir auf die von den Ständen erklärte Zustimmung .. Unsere Sanktion
und erlassen hienach das anruhende Gesetz“ (Landtagsabsch. vom 1840 1 B.). Vgl. auch Seydel,
Bayr. Staats-R. II S. 327 Note 38. — In Sachsen ist das, was Dyroff hier fordert, erfüllt;
aber freilich, ohne das von ihm verschmähte „Kontrahieren“ geht es nicht ab.
14) Unser neuzeitlicher Staat vermag mit seiner Gesetzgebung rechtlich alles. Die alte landes-
herrliche Gewalt bedurfte für wichtigere Landesangelegenheiten der Ergänzung durch die Zu-
stimmung der Landstände, die in Form eines Vertrags erteilt wurde und eine solche ver-
tragsmäßig aufgestellte Ordnung heißt ein „Landesgesetz“ — im Gegensatz zu den landesherr-
lichen Gesetzen“. J. J. Moser, Von der Landeshoheit in Regierungssachen überhaupt, Kap. 4,
bringt zahlreiche Beispiele solcher Gesetze in Vertragsform. Sie müssen per modum pactorum
verfaßt werden“ (S. 194), werden „mit den Ständen verglichen“, „transigirt“, „verabschiedet"“,
heißen „Konkordate", „Akkorde“, „Kompaktaten“", „Landesverträge“ (S. 213, 215, 226, 289, 290,
291, 292, 293, 300, 301). — Diese Auffassung beherrscht auch die sächsische Rechtsentwicklung.
Die „Landfrieden“ sind vertragsmäßig zwischen den Ständen unter Teilnahme des Landesherrn
errichtet Weiße, Staats-R. II S. 4 Note 1). Für die laufende Gesetzgebung stand den sächsischen
Landständen ein Mitwirkungsrecht nicht zu; die machte der Kurfürst allein, ohne sie anzuhören
oder auch, zweckmäßigerweise, nachdem er sie sich aussprechen ließ; einen Vertrag gab das nicht.
Nur wenn Neuordnungen in Frage sind, die in ihre Rechte eingreifen, ist ihre Zustimmung nötig;
das ist dann ein Vertrag. Umgekehrt können die Stände unter sich neue Einrichtungen beschließen;
dann gilt, sagt v. Römer, Staatsrecht u. Statistik III S. 76, „nach unfren geringen Einsichten
ein solcher Landtagsbeschluß als ein Vertrag der Landstände“". Ist aber der Landesherr
dabei interessiert, so muß notwendig die landesherrliche Bestätigung dazu kommen, wenn ein
solcher Landtagsschluß als ein Landesgrundvertrag angesehen werden soll“.
Nun ist einleuchtend: wenn das neue Verfassungsrecht die Mitwirkungsrechte der Stände
erweitert, so daß jetzt alle Rechtsordnungen nur mit ihrer Zustimmung aufgestellt werden können,
so erweitert sich damit, dem alten Rechtsgedanken gemäß, das Gebiet der mit ihnen zu schließenden
Verträge. Indem aber jetzt gelegentlich der Einführung der Verfassung auch die volle Souveräni-
tät des Königs zur Durchführung gelangt, als des alleinigen Trägers der Staatsgewalt, dessen
Wille allein denn auch im Gesetz das Wirkende ist, muß jener Vertrag in den Hintergrund treten:
er wird bloß Voraussetzung des Gesetzes.
Die Verfassungsurkunde selbst gibt das maßgebende Vorbild für die neuen Rechtsformen
der neuen Zeit. Sie ist in ausgeprägter und ausgesprochener Weise ein Vertrag zwischen dem
König und den Ständen. Und in Gemäßheit des abgeschlossenen Vertrags läßt sie der König dann