Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band IX. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen. (9)

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180 Vierter Abschnitt: Zusammenwirken von Regierung und Volksvertretung. S 
  
Das ältere Landesrecht — landesherrliches Mandat, Gewohnheitsrecht, Herkommen — 
hatte die Behörden, die ihm dabei dienen, vielfach ausgestattet mit Befugnissen zur Auf- 
stellung bindender Vorschriften für die Untertanen, namentlich in Polizeisachen. Diese 
sind vom Verfassungsstaate zunächst einfach übernommen, als gleichwertig mit der jetzt 
geforderten gesetzlichen Grundlage (vgl. oben § 20 Note 9), und so verbinden sich in der 
Tat von Anfang an auch mit dem auszuübenden „Aufsichts= und Verwaltungsrechte“ 
besondere Ermächtigungen zum Erlaß von echten rechtssatzschaffenden Verordnungen, 
neben den Ausführungsverordnungen, wie §5 87 das ins Auge faßt. Aber was von da 
ab an solchen Ermächtigungen ergeht, nimmt nun selbstverständlich die dem Verfassungs- 
rechte entsprechende Form an: die des ermächtigenden verfassungsmäßigen Gesetzes. Die 
alten Rechtsgrundlagen sind bestimmt, dadurch allmählich ersetzt zu werden.) 
Zu erwähnen sind noch zwei besonders geartete Fälle solcher Ermächtigungen. 
Die Ermächtigung kann einmal auch durch Reichsgesetz geschehen. Das Reichs- 
gesetz, das den Träger des von ihm zu gewährenden Verordnungsrechtes frei bestimmt, 
kann auch staatliche Behörden dazu auserwählen („oberste Regierungsbehörde“, „höhere 
Verwaltungsbehörde“ usw., die Bezeichnung wird natürlich allgemein sein), oder auch 
die Staatsoberhäupter selbst („landesherrliche Verordnung"). Solche Zuständigkeiten 
sind dann durch Landesrecht nicht verschiebbar. Wenn das Reichsgesetz allgemein be- 
stimmt, die Regierungen der Bundesstaaten sollten das Nähere „im Verordnungswege“ 
erlassen, so ist in Sachsen der König, als der ordentliche Träger des Verordnungsrechtes, 
zum Erlaß berufen; er wird aber auch hier wieder, wie bei der Ausführungsverordnung 
(oben Note 5), durch das Ministerium vertreten werden.:1) 
Sodann hat die Übung des Sächsischen Verfassungsrechtes eine ganz eigentümliche 
Form der Ermächtigung geschaffen. Nach der im englischen und französischen Rechte 
ausgebildeten konstitutionellen Theorie ist es „das Gesetz“, die „gesetzgebende Gewalt“, 
welche dem Staatsoberhaupte oder sonst einem „Gliede der vollziehenden Gewalt" gegen- 
Ausdruck: „die aus dem Aufsichts= u. Verwaltungsrecht abfließenden“ zuerst so verwendet haben. 
Nebenius, der den Entwurf lieferte, schreibt zwar einmal: er habe die Polnische Verfassung 
von 1815 zum Muster genommen; allein diese enthält nichts dergleichen. Es scheint vielmehr, daß 
Klüber und C. S. Zacharige zu dieser Formel angeregt haben. Namentlich des ersteren 
Werk (Off. R. des Teutschen Bundes), das 1817 erschien, bewegte sich, §& 98 und §§ 358ff., in solchen 
Ausdrücken. Beide waren zum Badischen Verfassungswerke gutachtlich gehört worden: v. Wceck, 
Geschichte der Bad. Verf. S. 121fss., S. 159ff. 
10) Den wichtigsten Fall solcher aus der alten Zeit überkommenen Einrichtungen bieten die 
Polizeiverordnungen. Das Polizeiverordnungsrecht ruht zum großen Teile jetzt noch 
auf jenen alten Grundlagen. Auf das A-Gesetz v. 28. Januar 1835 § 2 kann man es nicht 
stellen wollen; dieses gestattet nur Strafdrohungen zur Zwangedurchsetzung der behördlichen 
„Verfügungen“; das ist etwas anderes. Vgl. über die Frage: Fricker, Staats-R. S. 180 ff.; 
Krenkel, Polizeiverordnungsrecht in Sachsen S. 40ff. — Bemerkenswert ist, daß das alte 
Recht solche Ermächtigungen natürlich nur zugunsten der Behörden überlieferte; der König brauchte 
keine, der nahm sie sich als alleiniger Inhaber der gesetzgebenden Gewalt, wenn er wollte, selbst. 
Wenn der §& 87 der Verf.-Urk. dem König gleichwohl alles das anzurechnen scheint, so geschieht es 
offenbar in dem Gedanken, daß auf ihn als das „Haupt der vollziehenden Gewalt“ doch die ganze 
Behördentätigkeit zurückführt und von ihm alles abhängt. Erst die Gesetzgebung des neuen Ber- 
fassungsstaates bringt die Möglichkeit besonderer Ermächtigung auch zu landesherrlichen Ver- 
ordnungen; tatsächlich zieht sie es vor, die Minister zu beauftragen. 
11) Nach Nordd. Bundesges. v. 4. Juli 1868 über die Erwerbs= u. Wirtschaftsgenossenschaften, 
* 72 sollen nähere Bestimmungen von den Regierungen im Verordnungswege erlassen werden. 
Darauf erging die Ausführungsverordnung des sächsischen Justizministers v. 23. Juli 1868 „mit 
Allerhöchster Genehmigung“". Vgl. auch Personenstandsges. J83 und Sächs. Ministerial--Ver- 
oronung v. 6. November 1875 (Ges.= u. Verord.-Bl. S. 351) und v. 12. Juli 1899 (Ges.= u. Verord.= 
Bl. S. 159).
	        
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