186 Vierter Abschnitt: Zusammenwirken von Regierung und Volksvertretung. 2.
(Instruktionen) oder Anstaltsordnungen (Regulative). Die Reichsverfassung
hat dafür den Ausdruck Verwaltungsvorschrift. Diese Vorschriften setzen
kein Verordnungsrecht voraus und wirken nicht mit der urwüchsigen Kraft des Rechts-
satzes auf jeden, den es angeht. Sie setzen dafür ein solches besonderes Abhängigkeits-
verhältnis bei den Angeredeten voraus, wirken denn auch nur mit der Kraft dieser schon
bestehenden Pflicht und in ihren Grenzen.
Die Unterscheidung ist also jetzt für uns gar nicht schwer zu machen. Der alte Polizei-
staat aber, der für das große Gebiet der Verwaltung eine Rechtsordnung überhaupt nicht
ausgebildet hatte, war nicht dazu angetan, den besonderen Wert des Rechtssatzes zu klarem Be-
wußtsein gelangen zu lassen. Von ihm stammt der Brauch, alle obrigkeitlichen Anordnungen
allgemeiner Art, soweit sie jetzt nicht Gesetz heißen, unterschiedslos Verordnung zu nennen,
die Verwaltungsvorschriften, Dienstanweisungen, Anstaltsordnungen mit einbegriffen.25)
Ein Gesetz= und Verordnungsblatt ist kein Lehrbuch und die Rechtswissenschaft wird
es nicht hindern können, eine Ausdrucksweise zu gebrauchen, die ihm bequem und handlich
ist. Es liegt auch nicht so viel daran. Wohl aber ist es unter diesen Umständen notwendig,
recht kräftig kund zu tun, daß hier zweierlei ganz verschiedene Dinge beisammen sind.
Denn auf der Besonderheit des Rechtssatzes und auf seiner eigentümlichen Zusammen-
gehörigkeit mit dem verfassungsmäßigen Gesetze beruht wesentlich der ganze Haushalt
des öffentlichen Rechtes unserer Zeit.5)
25) Wenn wir unser Ges.= u. Verord.-Bl. mit kritischem Auge durchgehen, so werden wir
genötigt sein, festzustellen, daß diese falschen Verordnungen darin die dem Rechtsbegriffe ent-
sprechenden weit überwiegen. Nur ein paar Beispiele! Verord. v. 25. Oktober 1901, die Ge-
bahrung mit den Eintalerstücken aus den Jahren 1823 bis 1856 betr.: „die Staatskassen werden
hierdurch angewiesen“", solche nicht wieder auszugeben, sondern einzuliefern. In dem gleichen
Band des Ges.= u. Verord.-Bl. von 1901 folgen noch ähnliche „Verordnungen“ S. 168, 176, 177,
454. Im Jahrgang 1902 findet sich S. 34 eine „Verordnung“, die wissenschaftliche Ausbildung
der Volksschullehrerinnen betr.; 1903 S. 59 eine „Verordnung“, welche die Polizeibehörden
anweist, wie sie einen Hochwasser-Beobachtungs= und Meldedienst einrichten sollen, S. 250 eine
olche über Baumeisterprüfung, S. 438 über das Verhalten der Schulbehörden bei Keuchhusten;
S. 571 findet sich gar: „Verordnung, die Vorschriften der durch Verordnung
v. 10. Juli 1854 zur öffentlichen Kenntnis gebrachten neuen Instruktion
für die Bezirksärzte betr.“ Einen sehr großen Raum nehmen „Verordnungen“ ein mit „Regulativen“
für die Verwaltung von Irrenanstalten, Blindenanstalten, Krankenhäusern (1902 S. 37, 409;
1903 S. 375, 441, 465). Jahrgang 1908 S. 370 bringt eine „Verordnung“, welche kurz mitteilt,
die Allgemeinen Vorschriften für das Staatsrechnungswesen seien „einer durchgreifenden Um-
arbeitung unterzogen worden“ und treten mit dem 1. Januar 1909 in Kraft. Was sie enthalten,
erfährt man nicht. Von Rechtssätzen ist hier überall keine Rede, sondern von Dienstvorschriften
für die Anstaltsbeamten und Zulassungsbedingungen für die aufzunehmenden Kranken; sie haben
die gleiche rechtliche Natur wie die Postordnung und Telegraphenordnung (Laband, Staats-R. III
S. 82). — Als Gegenstück und gewissermaßen einen Ausgleich bilbend durch das Übermaß
nach der anderen Seite hin erscheinen dazwischen unter dem Namen Verordnung auch vollwichtige
Rechtsvorschriften, vom König erlassen unter Zustimmung der Stände zu ihrem Lert. Ein Beispiel
liefern die „Publikationsverordnungen“ v. 13. August 1855 zu Strafgesetzbuch und zu Militärstraf-
gesetzbuch von 1855 (Ges.= u. Verord.-Bl. 1855 S. 177, 531), die sich ausdrücklich auf diese Zustimmung
berufen. Wächter, Säachs. Strafrecht 1 S. 48 Note 2, bemerkt dazu: „Sie sind daher sowohl
nach Form ihrer Entstehung als nach Inhalt wirkliche Gesetze (nach Verf.-Urk. 75 bis 78). Den
Grund, aus welchem sie bloß durch Verordnung bezeichnet wurden, kenne ich nicht.“ Ees scheint
ein ganz äußerlicher gewesen zu sein: sie enthalten Dinge, welche man gewöhnlich in Ausführungs-
verordnungen zusammengestellt findet. Deshalb hat man sie aber nicht bloß als Verordnungen
bezeichnet, sondern hat ihnen auch diese rechtliche Eigenschaft belassen. Die Kammern, denen
man sie der Zweckmäßigkeit und Courtoisie halber vorlegte, genehmigten sie als zu erlassende
Verordnungen, nicht als Gesetze (Land.-Akten 1854, Mitt. 1 K. S. 416 ff., II K. S. 581 ff.).
Sie könnten ohne ihre Mitwirkung geändert werden.
26) Die übliche Verwendung des Wortes Verordnung, das doch rechtssatzmäßige Bestim-
mungen bedeutet, als Name von Dienstanweisungen und sonstigen Verwaltungsvorschriften,