Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band IX. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen. (9)

5 26. Rechtsverfahren zur Gewähr der Verfassung. 215 
  
wortlichkeit der Minister gegenüber dem Staate in gewissem Maße geltend zu machen, 
und zwar nicht im Namen des Königs, sondern eigenen Rechts; das ist das Be- 
sondere. Wenn man von Ministerverantwortlichkeit spricht, meint man diese besondere 
Seite.1) 
Wieweit die Stände in solcher Weise befugt sind, das ist nicht abgegrenzt nach sach- 
lichen Rücksichten des Verwaltungszweiges, auch nicht einheitlich nach Art der Verfehlung. 
Alle Arten von Verantwortlichkeitsgründen können hier in Betracht kommen. Aber alles 
nur, soweit besondere Mittel der Geltendmachung der Verantwortlichkeit 
den Ständen gegeben sind, und nach Maßgabe des Umfangs, in welchem sie ihnen zustehen. 
Die umfassendste Form, in welcher die Stände solche Mittel zur Verfügung haben, 
wird bezeichnet durch die sogenannte parlamentarische Verantwortlich- 
keit. Hier handelt es sich um das Zurredestellen des Ministers in den öffentlichen Ver- 
handlungen und Beschlüssen der Kammern, welche Meinungsäußerungen über die Amts- 
tätigkeit der Minister enthalten. Das Interpellationsrecht (oben § 18, II Nr. 5) kommt 
hier zu Hilfe. Diese parlamentarische Verantwortlichkeit ist in der Sache unbegrenzt, in der 
Wirkung rechtlich nicht bestimmt. — Demgemäß ist juristisch nichts weiter darüber zu sagen.) 
Den Gegensatz zur parlamentarischen Verantwortlichkeit bildet die ständische 
Geltendmachung der Ministerverantwortlichkeit im förm- 
lichen Rechtsverfahren. Die Stände, denen ihrerseits keinerlei rechtliche 
Gewalt über die Minister zusteht, wenden sich mit ihren Anträgen an eine Stelle, bei 
welcher das der Fall ist, die also rechtlich wirksam gegen den Minister vorgehen kann, und 
suchen diese zu bestimmen, daß sie von ihrem Rechte in bestimmtem Sinne Gebrauch macht. 
Insofern sie von der angegangenen Stelle nach Verfassung und Gesetz gehört werden 
und einen Bescheid erhalten müssen, ist das ein Rechtsweg, der ihnen zusteht und 
üben sie ein ihnen zustehendes Recht aus, wenn sie so vorgehen. ) 
Die anzurufende Stelle kann der König sein. Das ist der Fall des ständischen 
1) v. Frisch, Die Verantwortlichkeit der Monarchen und höchsten Magistrate S. 147 ff. 
gibt eine gute Ubersicht der verschiedenen Lehren von der Ministerverantwortlichkeit. Er beklagt 
mit Recht die Verworrenheit der üblichen Einteilungen. Die von ihm vorgeschlagene Einteilung 
nach dem „Forum“, vor welchem sie geltend zu machen ist, führt dahin, die Verank vortlichkeit dem 
Staatsoberhaupt gegenüber ganz auszuscheiden, weil hier von einem „Forum“ und einer „Recht- 
sprechung“ keine Rede ist (S. 153); auf der anderen Seite wird die einzig in Betracht kommende 
Verantwortlichkeit wieder in eine solche vor dem Staatsgerichtshof und eine solche vor den Kammern 
unterschieden (S. 155) — eben wegen des „Forum“. Für uns ist alles Verantwortlichkeit vor 
den Kammern, was durch deren Willen in Bewegung gesetzt wird. Und wenn wir die Verant- 
wortlichkeit vor dem König ausscheiden, so geschieht das nicht, weil sie „nicht in Betracht kommt", 
sondern weil sie die selbstverständliche, umfassende ist, so selbstverständlich, daß man es Minister- 
verantwortlichkeit im engern Sinne nennt, wenn andere als der König derartiges bewirken können. 
Ovpitz, Staats-R. I S. 229, II S. 292, Note 3, möchte als „Ministerverantwortlichkeit 
im engern Sinne“ ausscheiden die Fälle, wo der Minister einstehen muß für Handlungen des Königs. 
Hier besteht eine Kontroverse zwischen ihm und Leuthold, Staats-R. S. 235, der seiner- 
seits die Ministerverantwortlichkeit nur in der Ministeranklage vor dem Staatsgerichtshofe sehen 
will. Das wäre ja schließlich ein Streit um den Namen. Versteht man unter Ministerverantwort- 
lichkeit, wie wir hier tun, die von den Ständen geltend zu machende, so ist beides zu eng. 
2) Was wir hier meinen, nennt man wohl auch politische Verantwortlichkeit. Laband, 
Staats-R. 1 S. 355, sieht ihr Wesen darin, daß der Minister sich der politischen Notwendigkeit 
nicht entziehen kann, auf Angriffe gegen seine Geschäftsführung in der Volksvertretung „Rede 
zu stehen.“ Der Zwang zum Reden ist aber dabei geringer als der zum Hören; je nach der Ver- 
anlagung des Ministers ist auch der erstere weniger peinlich. 
3) Hier tritt in das Verfassungsrecht hinein die bekannte Rechtsidee des formalen Rechts- 
schutzanspruches, Klagerechts, Beschwerderechts, wie sie im Zivilprozeß ihre Rolle spielt und im Ver- 
waltungsrecht desgleichen; vgl. Otto Mayer, Deutsch. Verw.-R. I S. 148ff. 
 
	        
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