Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band IX. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen. (9)

*D5. Die Staatsgewalt. 13 
  
nischen Staatenbünde, Schweiz und nordamerikanische Union, haben dafür die eindrucks- 
vollen Beispiele gegeben: dort trat eben in Gestalt des organisierten Gesamtvolkes ein 
neuer Souverän auf den Plan, der nun seine Gewalt an die Stelle der gemein- 
samen Gewalt setzte. Bei dem monarchischen Deutschland trifft das nicht zu. Aus den 
noch so eng „verbündeten Regierungen“ wird nie ein neuer Souverän, sondern immer nur 
ein Verein von Souveränen und die Reichsgewalt bleibt in ihren Händen Vereinsgewalt. 
Eigene „juristische Persönlichkeit“ — die übrigens auch der alte deutsche Bund hatte — 
endert nichts daran: eine juristische Person kann nicht den Souverän ersetzen. Unmittelbar 
wirkende Gesetzgebung entspricht dem Vereinszweck; sie veranlaßt zur Schaffung einer 
gemeinsamen Volksvertretung und darin besteht dann eben das vielbesprochene „Ver- 
fassungsbündnis“. Die Behauptung, daß das notwendig ein Staat sein müsse, ist Scho- 
lastik. Die sogenannte Kompetenz-Kompetenz des Reichs, die alles entscheiden soll, ist doch 
nur eine gemeinsam ausgeübte Zuständigkeit der Bundesstaaten, wobei ja sogar eine 
Minderheit von 14 Stimmen genügt, um die Ausdehnung der gemeinsamen Gewalt zu 
hindern. 
Deshalb muß gesagt werden, daß die Zugehörigkeit zum Reich der Souveränität der 
Bundesstaaten und ihrer Eigenschaft als echte Staaten keinen Eintrag tut; die Reichs- 
gewalt, unter der sie stehen, ist keine fremde. Umgekehrt ist das Reich kein Staat: seine 
Gewalt, die Reichsgewalt, liegt in der Hand der Bundesstaaten, die ihre Zwecke damit 
verfolgen, als mit einer gemeinsamen Einrichtung.-) 
2. Die Verf.-Urk. bestimmt in 83:„Die Regierungsformistmonarchisch“, 
und erläutert das in § 4: „Der König ist das souveräne Oberhaupt des 
Staates, vereinigt in sich alle Rechte der Staatsgewalt.“ 
Nach der Sprechweise der Verfassungsurkunde ist der Staat zunächst als ein Zustand ge- 
dacht, als die durch die Verfassung hergestellte Ordnung der Dinge. In dieser Ordnung 
gehört dem König die volle Gewalt, um sie, soweit nicht die Verfassung selbst nähere 
Bestimmungen dafür setzt, frei nach seinem Ermessen und fürstlichem Pflichtgefühl aus- 
zuüben; er ist das Oberhaupt dieser Ordnung. Der Staat ist also kein Rechtssubjekt; er 
wird weder beherrscht, noch herrscht er. Die Rechtsverhältnisse, mit welchen die Verfassung 
3) Daß Bismarck das Reich als einen Bund auffaßte mit fortdauernder Vertragsgrundlage, 
ist ja wohl bekannt. Eine Zusammenstellung solcher Aussprüche bei Rosin, Freiburger Rektorats- 
programm 1897; Rosin bemerkt dabei zutreffend (S. 97), daß im Sinne Bismarcks der Unter- 
schied des Reichs von einem Staatenbunde „nur ein quantitativer“ ist. In der Hauptsache 
stehen auch Seydel und Laband auf diesem Standpunkte. Der erstere hat unter dem Einflusse 
Calhouns die selbständige Kraft der vertragsmäßig geschaffenen Reichsgewalt anfänglich stark 
unterschätzt und ist auch in seinen späteren Schriften nicht ganz davon losgekommen (Kommentar 
z. Reichsverf. S. 42 u. 43, Vorträge über allgemeines Staatsrecht, S. 61 ff.). Laband, Staatsrecht 1, 
S. 83 ff. läßt seinerseits das Reich nicht durch den Vertrag selbst entstehen, sondern durch die Er- 
füllung dieses Vertrags; da vollzieht sich alsdann der Umschlag, indem das Reich (zunächst der 
Norddeutsche Bund) als eine gesonderte juristische Person des öffentlichen Rechts zum Träger 
der neuen Gewalt wird. Das ist aber meines Erachtens nur eine Uberschätzung des Wertes der 
juristischen Persönlichkeit. Diese juristische Form kann alles andere verhüllen, nur keine Sou- 
veräne, und als solche müssen eben die vertragsmäßig verbundenen Staaten auch nach Labands 
Theorie nach wie vor sichtbar bleiben. Jellinek, Staatenverbindungen, S. 282, bemerkt mit Recht, 
daß diese Theorie eigentlich immer noch auf dem Standpunkte einer vertragsmäßigen Grundlage 
des Reiches stehe. Von der Bedeutung der juristischen Persönlichkeit in diesen Dingen wird im 
Texte unter Nr. 2 sofort noch die Rede sein. Ich wollte hier nur auf die literarischen Anschlüsse 
hinweisen, welche die oben vorgetragene Lehre vom Verhältnis zwischen dem Reiche und den 
Bundesstaaten finden kann. Im Arch. f. öff. St. XVIII, S. 337 ff. habe ich meinen Stand- 
punkt ausführlicher entwickelt.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.