Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band IX. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen. (9)

222 Vierter Abschnitt: Zusammenwirken von Regierung und Volksvertretung. g 26. 
  
als den Mann auch künftig zu haben. Amtsniederlegung wäre ein bequemes Mittel, 
um der drohenden Amtsunfähigkeit zu entgehen, die das ausschließt, oder der Miß- 
billigung durch den Staatsgerichtshof, die es wenigstens erschwert. Daher hier die Aus- 
nahme.3) 
3. Das Verfahren zur Entscheidung streitiger Verfassungsaus- 
legung (Verf.-Urk. § 153). Voraussetzung ist eine Meinungsverschiedenheit zwischen 
der Regierung einerseits und den Ständen andererseits über die Auslegung einer Ver- 
fassungsbestimmung. Selbstverständlich darf es sich dabei nicht um die rein akademische 
Frage handeln, wer hier das bessere Verfassungsverständnis besitzt. Es müssen sich in 
einem gegebenen Falle tatsächliche Schwierigkeiten an die Meinungsverschiedenheit knüpfen, 
indem die Regierung ein Verhalten beobachtet, das die Stände für verfassungswidrig 
halten, oder die Stände eine Anerkennung, Zustimmung, Bewilligung versagen, wozu die 
Regierung sie für verfassungsmäßig verpflichtet ansieht. Wenn diese Schwierigkeit „nicht 
durch Übereinkunft zwischen der Regierung und den Ständen beseitigt werden kann“, 
dann steht es jedem der beiden Teile frei, die Streitfrage vor den Staatsgerichtshof zu 
bringen.4) 
Der Zusammentritt des Staatsgerichtshofes wird in der nämlichen Weise herbeige führt 
wie bei der Ministeranklage; auch seine Zusammensetzung ist die gleiche wie dort. Statt 
der Anklageschrift reicht der betreibende Teil hier eine „Deduktion“ ein, die seine Rechts- 
auffassung darlegen soll. Der andere Teil kann eine Gegendeduktion vorlegen; das Ver- 
fahren wird aber durchgeführt, auch wenn er dieses unterläßt. Die Entscheidung erfolgt 
ohne vorbereitende Untersuchung auf Referat und Korreferat wie bei der Ministeranklage. 
Nur gibt hier im Falle der Stimmengleichheit der Präsident den Ausschlag.2#5) 
Die Entscheidung mit Entscheidungsgründen wird beiden Teilen schriftlich zugestellt 
und überdies im Gesetz= und Verordnungsblatt bekannt gemacht. 
Sie ist nicht anfechtbar und hat die Kraft einer authentischen Interpretation der Ver- 
23) Sie war im Entwurf nicht vorgesehen. Erst die Stände haben die Aufnahme dieser Be- 
stimmung bewirkt. Sie wiesen darauf hin, daß ja „zugleich die Ausschließung von jeder ferneren 
Anstellung ausgesprochen werden kann“ (gemeint ist die auch schon im Entwurfe so geregelte Ent- 
fernung aus dem Amte ohne ausdrücklichen Vorbehalt der Fähigkeit wieder angestellt zu werden), 
und daß es um so wichtiger sei, die Wirksamkeit des Spruches nicht dadurch schwächen zu lassen, 
„daß der Angeklagte durch freiwillige Resignation dem Urteilsspruche zuvorkomme"“. Ständische 
Schrift vom 19. Juli 1831; Landt.-Akten 1831 Bd. 4 S. 1809, 1810. — Die Ministeranklage 
erfüllt, wie gesagt, gleich den anderen Verfassungsschutzverfahren ihren Zweck hauptsächlich schon 
dadurch, daß sie in der Rüstkammer bereit steht. Nur einmal im Laufe der Zeiten hätten wir bei- 
nahe eine solche gehabt. Das ist dem Mitgliede der ersten Kammer, v. Watzdorf, zu danken, von 
dem in der Landtagssession von 1849 ein Antrag eingebracht wurde auf Anklage gegen sämtliche 
Minister wegen Verletzung zahlreicher Verfassungsbestimmungen (Mitt. d. I. Kammer 1849/50 
S. 164). Die Sache wurde ausgesetzt bis zur Erledigung der in der II. Kammer begonnenen 
Berhandlungen über die Verfassungsmäßigkeit der Regierungsmaßregeln (a. a. O. S. 690). 
In der II. Kammer wurde dann nach einer etwas erregten Aussprache dem Ministerium Indemni- 
tät bewilligt (Mitt. II. Kammer 1849/50 S. 741). Und so hat sich die Sache schließlich verlaufen. 
24) Der Grundsatz, daß nur durch übereinstimmende Beschlüsse beider Kammern die Stände 
handelnd auftreten können, bleibt auch hier gewahrt. Aber die Regierung kann sich genötigt sehen 
das Auslegungsverfahren ihrerseits herbeizuführen, wenn sie auch nur mit einer der beiden 
Kammern uneins ist, weil eben deren Widerspruch das Zustandekommen des zustimmenden oder 
bewilligenden Beschlusses, dessen sie bedarf, vereitelt. So auch Opitz, Staats-R. II S. 257. 
25) Verf.-Urk. § 153 Abs. 2; Ges. vom 3. Febr. 1838 &+ 50. — Zum Unterschied von der 
Ministeranklage wird hier ein gemeinsamer ständischer Anwalt nicht bestellt, dafür wird das ganze 
Verfahren „sistiert“, wenn eine Schließung, Vertagung oder Auflösung bei den Ständen eintritt; 
Ges. vom 3. Febr. 1838 5 53.
	        
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