238 Fünfter Abschnitt: Die Staatsbehörden. 5 28.
namentlich die Ministerien, bedienen sich vorzugsweise dieser letzteren Form, um alle
Staatsdiener eines Dienstzweiges mit übereinstimmenden und dauernd gültigen An-
weisungen zu versehen. Für die Kundmachung dienen eigene Amtsblätter.2)
Hat der Staatsdiener Bedenken, ob das ihm Befohlene mit dem Gesetze vereinbar
sei, so soll er seinen Vorgesetzten darauf aufmerksam machen, darf aber seinerseits nicht
den Gehorsam deshalb verweigern. Dann ist für die Ausführung des Befehls nicht er
verantwortlich, sondern der Vorgesetzte allein.?3) Diese Vorschrift des Staats-
dienergesetzes hat ihre Bedeutung beibehalten für das Gebiet der Dienstzuchtgewalt. Was
die strafrechtliche und bürgerlichrechtliche Verantwortlichkeit des gehorchenden Staats-
dieners anlangt, so entscheiden jetzt die darauf bezüglichen Bestimmungen des Reichsrechtes.
Damit erhält aber auch der dienstliche Gehorsam eine neue Begrenzung; denn die Pflicht
dazu hört selbstverständlich auf, wo die eigene Verantwortlichkeit beginnt.-#)
3. Die Dienstgewalt verwendet für ihre Zwecke insbesondere auch die öffentliche
Strafe : die obrigkeitliche Zufügung eines Übels wegen mißbilligten Verhaltens. Das
tut sie aber auf zweierlei, wohl zu unterscheidende Art: als Zwangsstrafe und als
Dienstzuchtstrafe (Disziplinarstrafe).25)
— Wenn ein Staatsdiener eine ihm obliegende Amtsverrichtung („ein Dienstgeschäft")
nicht vornimmt, so ist von seinem Vorgesetzten im Wege des dienstlichen Zwanges gegen
ihn zu verfahren, um die Erfüllung der geschuldeten Leistung herbei-
zuführen. Da es sich dabei immer um Brechung des Ungehorsams gegen einen Dienst-
befehl handelt, so haben die zu solchem Zwang verwendeten Strafen große Verwandt-
schaft mit den polizeilichen Ungehorsamsstrafen: Voraussetzung ist immer, daß dem Staats-
diener von seiner Dienstbehörde die schuldige Verrichtung besonders befohlen sei unter
Bestimmung einer Frist und Androhung der Strafe für den Fall, daß er nicht Folge leiste.
Die der Behörde zur Verfügung stehenden Strafmittel heißen Ordnungsstrafen.-s)
22) v. d. Mosel, Handwörterb. d. Kgl. Sächs. Verw.-R., Art. „Amtsblätter“. Vgl. oben
22, II Nr. 2. Für die Ministerien besteht die Möglichkeit, die in ihrem Verordnungsblatte er-
lassenen „Bekanntmachungen“" auch noch im Ges.= u. Verord.-Bl. „zu allgemeiner Kenntnis zu
bringen.“; vgl. z. B. Ges.- u. Verord.-Bl. 1907 S. 113. — Wie schon bemerkt, gehen diese Dienst-
vorschriften vielfach unter dem Namen „Verordnung“; vgl. oben 8 22, II Nr. 4.
23) Staatsdienerges. & 7. Der alte Streitpunkt! Bei Beratung dieser Bestimmungen war
man sich wohl bewußt, einen sehr zarten Gegenstand zu berühren. Das kam zum Ausdruck in einer
schüchternen Veränderung, welche die Stände durchsetzten. Ursprünglich hieß es: „Die dem Staats-
diener obliegende Beobachtung der Staatsverfassung berechtigt keinen Diener, die Anordnungen
seiner Vorgesetzten, deren Übereinstimmung mit der Verfassung ihm zweifelhaft dünkt, beiseite
zu setzen.“ Er hat zu gehorchen. „Er kann jedoch wegen Befolgung der Anordnung nicht zur
Verantwortung gezogen werden, vielmehr trifft die Verantwortlichkeit denjenigen, der die An-
ordnung erteilt hat.“ Die Stände meinten: „damit die Meinung, daß bei offenbarer Kollision
der Vorzug der Verfassung gebühre, wenigstens angedeutet werde“, wünschten sie die Vertauschung
des Wortes „jedoch“ mit den Worten „daher solchenfalls“. Also geschah es. Es bedarf einigen
Nachdenkens, um zu erkennen, worin hier die Verbesserung liegt.
24) Dieser ist um so mehr freies Spiel gelassen, als Sachsen von der nach E. G. zu G. V. G.8 11
ermöglichten Forderung einer Vorentscheidung gänzlich abgesehen hat. Auf diese viel
rlVeochenen Fragen ist hier nicht weiter einzugehen.; vgl. Otto Mayer, Deutsch. Verw.-N.
236 ff.
25) Opitz, Staats--R. I S. 254, bringt beides unter die Rubrik: „Disziplinäre Verantwort-
lichkeit"; dagegen Fricker, Grundriß S. 120; Krische, Sächs. Staatsdienergesetze S. 21
Note 1 zu § 16. — Das Staatsdienerges. behandelt das Zwangsverfahren gegen den Staatsdiener
in §#§ 16, das Disziplinarverfahren in Is# 22—29; die letzteren Bestimmungen sind ersetzt worden
durch Ges. vom 3. Juni 1876 §§8 15—37.
26) Staatsdienerges. § 16. — Das R. B. G. 9 73 u. 74 versteht unter „Ordnungsstrafen“ die
leichteren Disziplinarstrafen. Das Ges. vom 3. Juni 1876, das sich sonst in § 18 ff. dem Disziplinar-